Kapitel 1 Kassra

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Über mir ergiesst sich des Nachthimmels Pracht und ist der einzige Zeuge, der meine warmen Tränen zu sehen vermag. Während mein Herz mit mir leise und unbemerkt mitweint, richten sich meine Augen zum Horizont, dorthin, wo verlorene Seelen hinwandern und verschwinden. Und während der Wind mich umhüllt wie ein schützendes Tuch, frage ich mich, weshalb ich noch hier weile, obwohl ich den Sinn zum Leben längst verloren habe.

Stürmisch peitscht der Regen gegen mein Gesicht. Es scheint, als würde der Himmel all der zurückgehaltener Trauer und Verzweiflung nicht mehr Herr werden. Mir war das Wetter nur Recht. So bemerkte man nicht meine geschwollenen, ungeschminkten Augen mit ihren ewigen nassen Film darauf und den langsam verblassendem Handabdruck auf meiner Wange. Doch auch sonst schenkte mir keiner Beachtung. Wer würde schon mit Stolz erzählen, dass er ein kaputtes Mädchen zu seinen Freunden zählte, welche kaum mit einem sprach, da sie in ihrer eigenen Welt lebte? Meine schulterlangen Haare hingen mir schief ins Gesicht und hatten schon manch unschöne Tatsachen versteckt. Meine farblosen, weiten Kleider liessen mich in der Menge verblassen und unnahbar erscheinen. Meine Stimme vernahm man nur, wenn ein Lehrer sein Wort an mich richtete, sonst schwieg ich und war mit meinem Geist weit weg. Kein Lachen, keine Freude, kein Schmerz, keine Zweifel durchquerte meine Gedanken, ich war an einem Ort an der es solche Gefühle nicht gab. Suchend, niemals findend, irre ich durch meine Welt umher, die bloss das Gefühl der Geborgenheit kennt. Wenn ich aus ihr herausgerissen werde, erdrückte mich der Lärm und die ganzen Farben. Sobald man mich wieder gehen lässt, tauche ich in meine stille Welt zurück, die niemand sonst zu betreten vermag. Nur an einen Ort vermag es mich in dieser Welt zu ziehen und dies ist ein Ort der die Menschen meiden.

Wie verloren gegangene Überreste einer einst grossen Legende erheben sich die grauen Steine aus dem Gras, bis in alle Ewigkeit zum Schweigen gebracht. Ich gehe umher, durchstreife Reihe um Reihe mit ausgestreckten Händen, die Augen geschlossen. Die Grabsteine gleiten rau über meine Haut. Ich spüre eines Raben kluge Augen auf mir, bevor er sich in die Lüfte emporhebt. Das ras wiegt langsam unter mir umher und lässt mir seinen Duft zu Nasen Steigen. Der Wind umschmeichelt mich sanft und führt mich umher, wie ein geheimes Tanzmuster, welches nur wir kennen. Ich möchte ewig so verweilen und den verloren geglaubten Stimmen zuhören, doch auch mein Glück durfte nicht vollkommen bleiben und würde auch nie bestehen, solange ich zu diesem Ort zurückkehren musste.

Dieser Ort war ein Grundstück, welches ein Haus mit vergilbter Hausfassade und so roten Fensterläden beinhaltete, wie mein Blut, welches jeweils den Staub am Boden färbte. Die Haustür ging auf, bevor ich auch nur meinen Schlüssel hervornehmen konnte. Eine kräftige Hand umschloss meinen Oberarm schmerzhaft und zog mich herein. Sobald die Tür hinter mir in die Angeln fiel, zersplitterte meine mühsam aufgebaute Welt. Dieser Ort kannte nur Verzweiflung, Wut, Schmerzen, Schreie und das stetige Tropfen einer neuzugerichteten Wunde. Ich wurde an die Wand geschleudert und mein Arm über meinem Kopf festgehalten. Mit dem angezogenen Bein sorgte er dafür, dass ich mich nicht freikämpfen konnte. Er nahm mit der anderen Hand mein Kinn und zwang mich ihn anzusehen. Das Gesicht des Mannes näherte sich langsam meinem und verharrte in einem winzigen Abstand, bevor sich unsere Lippen getroffen hätten.

„ Wieso bist du so spät dran? Ich habe dir gesagt, dass du sofort nach Hause zurückkehren sollst, doch du scheinst dir wohl nicht mehr im Klaren zu sein, was passiert, wenn du dich mir widersetzt."

Er liess mein Kinn los und schob meine Haare beiseite, welche Narben und andere schlechten Erinnerungen verbarg.

„Eigentlich schade, du hättest ein solch schönes Gesicht, doch Regelung muss sein, nicht wahr?"

Blitzschnell schlug er mir mit der Faust in den Magen. Keuchend fand ich mich vor ihm wieder.

„Nun geh und erledige deine Arbeit sorgfältig, sodass mir keine Reklamationen zu Ohren kommen. Denn kein Auftrag, der von mir, der Bulldogge, ausgeführt wird, ist von schlechten Eltern."

Blinded: Rache von Feuer und WindWhere stories live. Discover now