Schutzengel

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Die Wolken hingen tief, ließen noch weniger der spärlichen Sonnenstrahlen durch als sonst.
In der Nacht hatte es gefroren, das erste Mal dieses Jahr.
Wenn es jetzt regnete, dachte Titus, dann gäbe es wohl Schnee.
Er war an diesem Vormittag bereits draußen gewesen und hatte Besorgungen für seinen Onkel angestellt.
Um genauer zu sein hatte er die Pakete weggebracht, die er am Abend zuvor für die Kunden gepackt hatte.
Das war eine der wenigen Tätigkeiten, die ihn bei seinem Hausarrest nach draußen führten.
Natürlich flog immer eine kleine Drohne mit um sicherzustellen, dass er keinen einzigen Fehler machte, oder von dem Plan abwich.
Selbst mit seiner Winterjacke hatte er leicht gefröstelt, seinen Atem hatte er in Dunstwolken vor sich aufsteigen sehen und die Straßen waren menschenleer gewesen.
Das gab ihm jedoch Zeit um über den Abend des Vortages nachzudenken.
Sophie hatte ihn doch tatsächlich angerufen. Sie sorgte sich um ihn. Er hatte es kaum zu hoffen gewagt, dass die Gefühle auf Gegenseitigkeit beruhten, doch scheinbar taten sie es.
„Titus, ich liebe dich.“ Hallte Sophies süße Stimme durch seinen Kopf.
Wie sehr er sich danach sehnte, die Stimme wieder persönlich zu hören, das süße Gesicht zu sehen und endlich ihre Lippen zu küssen.  Sie waren bestimmt unglaublich weich.
Titus seufzte und blickte hinüber zu einem relativ kleinen, lila Koffer, der in der Ecke seines Zimmers stand. Die Türen seines Kleiderschrankes standen sperrangelweit offen und entblößten die gähnende Leere im Inneren. Ein paar wenige Teile lagen verstreut in seinem Zimmer, doch das Meiste war in seinen Koffer gewandert.
Kurz nachdem er von dem Auftrag zurückgekehrt war hatte er den Beschluss gefasst seine wenigen Besitztümer, die ihm wirklich etwas bedeuteten, in einen Koffer zu packen und gegebenenfalls das Weite zu suchen, wenn sich der Hausarrest noch weiter erstreckte.
Er hatte jedoch nicht gedacht, dass er so wenig besaß. Sein Koffer war noch nicht mal ganz voll.
Titus seufzte.
Ihm blieb nur noch ein Monat um die Hochzeitspläne seines Onkels zunichte zu machen und er war noch keinen Schritt weiter als zwei Monate zuvor.
Er wollte nicht das nächste Mal auf Sophie treffen und ihr dann sagen müssen, dass er dieses Mädchen geheiratet hatte.
Mit entschlossener Mine stand er von seinem Bett auf, schloss die Türe auf und ging in die Küche, wo sein Onkel grade die MADnews las.
„Onkel, ich muss mit dir sprechen…“ begann er, konnte den Satz jedoch nicht beenden, da Kralle bei dem Geräusch einer zuschlagenden Türe hellhörig wurde und aufsprang.
„Nicht jetzt, Neffe! Madea ist zurück!“ Brummte er und positionierte sich in der Küchentüre um sie zu begrüßen.
„Wo war sie eigentlich den ganzen Tag?“   Wollte Titus nun wissen, wütend darüber, dass sie mal wieder dazwischen platzte. Warum musste sie auch ausgerechnet jetzt aufkreuzen?
„Ich war in Peru.“ Beantwortete die brünette Frau und betrat die Küche.
„Wie ist der Plan gelaufen?“  Fragte sein Onkel und setzte sich neben sie an den Tisch, gegenüber von Titus.
„Ich habe Recht behalten.“ Ein Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht. „Der Agent hat Gadget tatsächlich dort hin gelockt.“
Titus wurde hellhörig. „Was war denn der Plan?“
„Ich sollte den Inspector aus dem Weg räumen.“ Lächelte nun Madea. „Dazu haben wir einen minder begabten Agenten zu dem Gletscher gelockt und sagen wir mal… auf Eis gelegt. Nachdem das Hauptquartier sein Fehlen bemerkt hatte schickten sie natürlich ihren besten Agenten um die Sache aufzuklären.“
„Gadget…“ Murmelte Titus. „Und weiter? Hast du ihn bekommen?“
Madea seufzte bestürzt. „Nein leider ist er mir entkommen. Aber dennoch war es nicht vollkommen umsonst. Seine kleine Göre habe ich erwischt.“ Ein eiskalter Ausdruck legte sich in ihre Augen und das Lächeln wirkte schlagartig diabolisch.
Alles Blut wich aus Titus Gesicht, als sie das sagte. Sie hatte doch nicht seine Sophie… „Was hast du getan?“
„Die Kleine soll fast besser gewesen sein als ihr Onkel. Aber nun nicht mehr. Jetzt liegt sie mit einer Kugel im Bauch irgendwo in  einer Gletscherspalte.“ Diese Genugtuung in ihrer Stimme machte ihn rasend. Alles drehte sich. Er war Fassungslos. Sorge, Wut und Trauer vermischten sich.
Titus kniff die Augen zusammen und rang um Fassung. Doch es gelang nicht. Immer wieder tauchte Sophie vor ihm auf. Tot. Mit Schusswunde im Bauch und eiskalt.
„Was hast du getan!?!“ Brüllte er nun so laut, dass die Wände bebten. Er sprang auf und knallte die Hände auf den Tisch. Sein Gesichtsausdruck war durch die Wut animalisch verzerrt und glich einem Raubtier. Madea schien das ganze Szenario jedoch nicht zu beeindrucken.
„Ich habe gemacht was nötig war. Aber dir schien die Göre ja was zu bedeuten…schade. Du hattest so viel Potenzial. Und du musst bei einer Agentin schwach werden…“
Titus war egal was sie sagte. Seine Entscheidung war getroffen. Er würde gehen. Er würde Sophie holen. Er würde sie zu retten versuchen. Und wenn er zu spät kam würde seine Rache an Madea furchtbar sein.
Er würde gehen und nie wieder kehren. Er würde nicht heiraten und nicht mehr unter der Fuchtel seines Onkels stehen.
Er war gerne MAD Agent gewesen, aber das ging nun zu weit.
„Madea, du brauchst dir keine Sorgen darüber zu machen, wie schwach ich bin und du, Onkel, auch nicht.“ Zischte er. „Ich gehe! Und wehe ihr kommt mir in die Quere!“
„Aber die Hochzeit!“ Versuchte sich sein Onkel zu retten, doch Titus sah ihn nun herablassend an und spuckte ihm vor die Füße. „Scheiß auf die Hochzeit.“
Er drehte sich um und wollte die Küche verlassen, als er ein verdächtiges Klicken hinter sich hörte.
„Bleib stehen, Bursche.“ Madea klang noch immer ganz ruhig.
Titus blickte über die Schulter zurück und sah, dass die Frau eine Magnum auf ihn gerichtet hatte.
„Damit hast du sie also kalt gemacht.“ Titus ballte die Faust mit solcher Kraft, dass sich die Fingernägel schmerzhaft in die Handflächen gruben. Er musste sich beherrschen um sich nicht sofort auf sie zu stürzen.
„Lass den Taugenichts gehen.“ Hörte er nun seinen Onkel sagen. Tot wollte er ihn wohl doch nicht sehen. Nein, wenn würde er ihn foltern wollen. Umbringen war ihm zu langweilig.
„Lass ihn gehen, Madea. Er kommt nicht weit. Ich werde ihn wieder einfangen. Das wird ein viel größerer Spaß als ihn einfach nur zu erschießen.“ Kralle wiederholte seine Forderung und tatsächlich ließ Madea langsam die Waffe sinken.
Titus ergriff die Chance und floh. Mit einem Handgriff schnappte er sich den Koffer und rannte in den kleinen Hangar am Ende des Hauses. Dort stand sein Meisterwerk, das er vor Jahren für seinen Onkel anfertigen musste, aber noch nie benutzen konnte. Heute war der Tag gekommen. Wenn eine Chance bestand rechtzeitig nach Peru zu kommen, dann nur hiermit. Denn die Distanz war ordentlich.
Mit Schwung warf er den Koffer in das Flugzeug, bevor er auf den Pilotensitz kletterte und sich anschnallte. Ein kurzer Handgriff und das Dach über ihm öffnete sich. Nun aber schnell.
Ästhetisch schoss der Nurflügler senkrecht in den Himmel und beschleunigte immer weiter, bis ein Knall signalisierte, dass die Schallmauer durchbrochen war. Hoffentlich kam er noch rechtzeitig nach Peru um sie zu retten.

Bis ans Ende der Welt (Inspector Gadget 2015)Where stories live. Discover now