20 | Am seidenen Fädchen

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»Vor zwei Jahren bin ich mit zwei Freunden von zu Hause runter nach Housten an die Küste, um zu surfen.« Ich wusste, dass es etwas damit zu tun hat. »Der Strand war bis auf vier, fünf andere Surfer fasst leer und die Wellen waren perfekt, also sind wir ins Wasser und haben gesurft, bestimmt zwei bis drei Stunden lang. Dann haben wir eine Pause am Strand gemacht. Danach wollte ich nochmal ins Wasser, um ein letztes Mal zu surfen, bevor wie zurückfahren würden.

Meine rechte Hand baumelte ruhig im Wasser, während ich auf eine Welle wartete. Ich habe den Hai nicht einmal kommen gesehen, alles geschah innerhalb von Sekunden, wodurch der Schmerz erst mit verzögerter Wirkung eintrat.

Der Hai ist beinahe senkrecht aus dem Wasser geschossen und hatte knapp über meinem Ellebogen in meinen Arm gebissen.

Ich sehe jetzt noch, wie sich das Wasser um mich herum innerhalb von Sekunden hellrot gefärbt hat.« Roy schluckt kurz und hält in seinen Erzählung inne, um dann mit leicht belegter Stimme fortzufahren. »Erst da blickte ich auf meinen Arm, der nur noch an einem seidenen Fädchen an mir hing.

Nur knapp fünfzehn Meter neben mir hatte ebenfalls ein Surfer im Wasser gewartet, der in Sekundenschnelle handelte, als er begriff, was da gerade passiert war. Blitzschnell brachte er mich an Land und benutzte eine Surfleine als Aderpresse, um die Blutung zu stillen. Ansonsten säße ich hier heute vielleicht gar nicht.«

Nun muss auch ich schlucken. Ich habe mich immer nur gefragt, wie es zu diesem furchtbaren Unfall gekommen ist. In der ganzen Zeit habe ich aber nicht ein Mal in Erwägung gezogen, dass Roy sein Leben hätte verlieren können.

»Und seitdem surfst du nicht mehr?«

»Nein. Ich vermisse es schon, aber...«

»Aber die Angst ist zu groß, oder?, vervollständige ich seinen Satz.

»Ja.« Roy unterbricht unseren Blickkontakt, atmet darauf einmal tief ein und setzt wieder ein Lächeln auf. »Darauf folgte das Drama um Faren, wie du bereits weißt. Aber es hat auch etwas Gutes - man muss dem einfach etwas Positives abgewinnen, sonst kommt man damit niemals klar - ohne diesen Unfall hätte ich Deborah niemals kennengelernt.«

Ich rutsche näher an ihn heran und lege meinen Kopf auf seine Schulter. »Wie hast du sie kennengelernt?«, frage ich lächelnd, weil ich merke, dass er für heute genug an den Unfall gedacht hat. Trotzdem bewundere ich ihn für seine Stärke, dafür dass er das alles durchgehalten hat ohne völlig daran kaputt zu gehen.

Der Blondschopf gluckst und hebt den Arm, legt seine Hand vorsichtig auf meinen Kopf, sodass ich mit einem wohligen Gefühl die Augen schließe. »Du bist heute wohl unermüdlich«

»Jaa.«

»Deborah stolperte ganz unverhofft in mein Zimmer, weil sie sich in ihrer Zimmernummer vertan hatte.« Ja, so konnte ich mir das vorstellen. »Ich war gerade zwei Tage im Krankenhaus und hatte soeben wütend meine Familie aus meinem Zimmer vertrieben, weil ich ihre Blicke nicht mehr ertragen konnte. Ständig sah ich ihren mitleidvollen Ausdruck und wurde dadurch ständig aufs Neue darauf hingewiesen, dass mir nun ein entscheidener Teil meines Körpers fehlte. Aber ich alleine schaffte es auch ganz gut, mich darauf hinzuweisen.

Beschämt wollte ich den Kopf in meinen Handflächen vergraben, weil sie ja doch nichts für meine Situation konnten, musst dadurch aber nur wieder feststellen, dass das nicht mehr ging. Das war schlimm.

Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass die Tür aufgegangen war. ›Hoppla, das ist ja gar nicht mein Zimmer‹, hatte sie lachend festgestellt und ihr Blick war dabei wohl auf mich gefallen, wie ich wie ein Häufchen Elend in meinem weißen Krankhausbett saß, das sich gar nicht von dem Verband um meinen ... Stumpf abzuheben schien.« Er versucht zwar, es sich nicht anmerken zu lassen, aber ich bemerke, dass ihm dieses Wort anscheinend immer noch Unbehagen bereitet.

Linkshänder küssen besser ✔Where stories live. Discover now