Eves Brust zog sich schmerzhaft zusammen. Sie stand gerade vor der Ampel, die zu der geschlossenen Wohnanlage führte, in der Dans Haus stand. Sofort wusste sie, dass Daniel etwas zugestoßen sein musste. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Sie musste zurück. Hastig blickte sie nach links und rechts, ignorierte die rote Ampel und drehte mitten auf der Kreuzung um, dann drückte sie das Gaspedal ganz durch.

Zurück zur Sporthalle hatte sie es zwar viel schneller geschafft, als sie von dem Tattoostudio nach Hause gebraucht hatte, jedoch war seit dem Gefühl trotzdem schon eine halbe Stunde vergangen. Während der Autofahrt waren ihr immer wieder wilde Szenarien durch den Kopf gegangen, die passiert sein könnten. Doch die schienen ihr alle ziemlich abwegig zu sein. Daniels Team würde sich bestimmt um ihn kümmern, sollte er sich verletzt haben. Obwohl sie dachte, dass es wahrscheinlich nicht um Leben und Tod ging, befürchtete sie trotzdem, dass es schlimm war. „Das hast du beim letzten Mal auch gedacht und dann war es nur ein Kratzer an der Stirn", sagte sie sich vor, während sie in die Halle trat. Sofort kamen einige Teammitglieder auf sie zugestürmt. „Wir wollten dich gerade anrufen", sagte einer, dessen Namen sie sich nicht gemerkt hatte. James kam auf sie zu und legte den Arm über ihre Schulter. Sofort war ihr bewusst, dass es sich hierbei nicht um einen Kratzer handelte. „Fire wurde gerade ins Krankenhaus gefahren. Er hat sich verletzt. Versteh mich nicht falsch, wir wollen dir bestimmt keine Angst machen, denn bisher wissen wir noch nicht wie es um ihn steht, aber er ist wohl ziemlich heftig auf den Kopf gefallen. Er wurde gerade von einem Rettungswagen abgeholt. Wir machen uns jetzt auch auf den Weg in die Klinik. Möchtest du mit einem von uns mitfahren?" Sie schüttelte den Kopf. Es war wohl das Beste mit Dans Auto zu fahren. So war sie etwas flexibler, falls sie länger als die anderen im Krankenhaus bleiben wollte. Insgeheim hoffte sie aber, dass sie Dan gleich wieder mit nach Hause nehmen durfte. „Ich fahre Daniels Wagen. Dann weiß ich wenigstens wie ich von dort wieder wegkomme." Das Team nickte. „Du kannst mir einfach folgen", schlug James vor. Weiterhin hatte er den Arm um ihre Schulter gelegt und führte sie nun durch die Umkleide nach draußen. Immer wieder betete sie zu dem blauen Engel. Malte sich aus, wie Dan ihr gleich entgegenkommen würde, als wäre nie etwas geschehen. Vielleicht mit einem kleinen Cut auf er Stirn, jedoch sonst vollkommen unversehrt. Es konnte ihm einfach nichts Gravierendes passiert sein. Es durfte nicht sein. Wenn sie im Krankenhaus ankam, mussten ihr die Ärzte sagen, dass alles halb so schlimm war. Ihn leiden zu sehen würde sie umbringen. Warum hatte sie ihn nur ins Training gehen lassen? Sie hätte darauf bestehen sollen, dass es keine gute Idee war, nach all den Ereignissen des heutigen Tages. Obwohl sie wusste, dass er sich ohnehin nicht von seinem Vorhaben abringen hätte lassen, fühlte sie sich gleichzeitig schuldig. War sie etwa für seine Verletzung verantwortlich? Hätte sie ihm doch gleich von Sam und dem gefälschten Ultraschallbild erzählen sollen? Möglicherweise. Aber sich selbst Vorwürfe zu machen, würde sie in dieser Situation auch nicht weiterbringen. Sie musste einfach schnellstmöglich zu ihm. Kaum hatte sie ihr Auto in der Nähe von James Wagen geparkt, stürmte sie auf den Fahrstuhl zu. Zum ersten Mal seit dem Attentat spürte sie mehr Furcht für etwas Anderes, als der Liftfahrt. Um genau zu sein, war ihr die im Moment vollkommen egal. Es ging ihr nur um Dan. Er musste einfach gesund sein. Wie bereits zuvor legte ihr James den Arm um die Schulter. „Es ist bestimmt alles halb so schlimm, Eve. Mach dir nicht so viele Sorgen!", redete er ihr gut zu. „Das ... das ist alles meine Schuld", schluchzte sie, „ich hätte ihm gleich die Wahrheit sagen sollen." Energisch schüttelte er den Kopf. „Er hat mir nicht gesagt, worum es bei eurer Auseinandersetzung ging, aber was er sowohl erwähnt hat, ist, dass er weiß, dass du nur aus Rücksicht auf ihn ein Geheimnis vor ihm hattest. Er war dir auch nicht böse, sondern einfach nur verwirrt."

Sie nickte und versuchte sich an einem zaghaften Lächeln, weil ihr klar war, dass James recht hatte. Daniel war ein sehr besonnener Mann, der nicht einfach aus einem Impuls heraus handelte. Zumindest nicht dann, wenn er sich über die Liebe die ihm zuteilwurde bewusst war. Er überdachte Situationen und ging sehr objektiv mit Streitpunkten um. Etwas, das auf Eves Pluspunkteliste stand. Ein weiterer Grund warum sie ihn liebte. Und plötzlich hatte sie das Gefühl, dass einfach alles gut werden musste. Immerhin war es Schicksal warum sie zusammen waren. Dieses Schicksal hatte es des Öfteren so gut mit ihnen gemeint. Es konnte doch nicht sein, dass alles so gekommen war, nur um jetzt doch in die Brüche zu gehen.

Vor dem Empfang blieben sie stehen und fragten nach Dan. Sofort als Eve das Wort Intensivstation vernahm, wurde ihr wieder mulmig. Warum lag er auf der Intensivstation? Konnte ein einfacher Sturz denn wirklich so schlimm sein? Sie wusste im Moment noch nichts über den Unfallhergang. Jedoch war sie sich auch nicht sicher, ob ihr der genaue Ablauf dabei helfen würde mit dem Geschehen umzugehen oder ob es dadurch vielleicht noch schlimmer werden würde. Trotzdem fragte sie auf dem Weg zur richtigen Station: „James, was ist eigentlich genau passiert?" Etwas unsicher blickte er sie an. „Fire hat wohl die Grundregeln des richtigen Fallens vergessen, in der Zeit in der er nicht im Training war. Es könnte jedoch auch sein, dass er bereits ohnmächtig war, als er gegen Kyle gesprungen ist. Unser Center ist ein Muskelprotz. Da kann es schon mal passieren, dass man durch einen Body Slam ausgeknockt wird." Eve nickte, weil sie einfach nicht wusste, was sie sonst sagen hätte sollen. Außerdem waren sie mittlerweile auf der Intensivstation angekommen und warteten jetzt darauf, dass jemand kommen würde, der ihnen über Dans Zustand Auskunft geben könnte. Die Schwester blickte sie jedoch nur unschlüssig an: „Sind Sie denn mit ihm verwandt?" James schüttelte den Kopf, während Eve nickte. Wieder erinnerte sie sich an das Attentat. „Wir sind verlobt", sagte sie schnell und der Basketballspieler neben ihr sah sie prüfend an. Erst als die Krankenschwester einen Blick auf ihre Unterlagen warf, deutete Evelyn ihm, dass das eine Lüge war. „Mr. Keene ist soeben aufgewacht. Ich kann Ihnen noch nichts Genaueres sagen, aber es scheint soweit alles in Ordnung zu sein. Sie können in Zimmer Nummer 302 auf ihn warten. Er wird jeden Moment verlegt." Erleichtert atmete Eve auf und auch James schien ein Stein von Herzen zu fallen.

SeelentattoosWhere stories live. Discover now