Kapitel 32

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Unruhig rutschte Eve auf ihrer Strandliege hin und her, zu der sie Dan geführt hatte. Sie mochte es nicht, dass er sie allein gelassen hatte. Das machte ihre Unwissenheit über die Überraschung, die er für sie vorbereitet hatte fast noch unerträglicher. Seit dem Vorfall am Flughafen wollte sie generell nie mehr alleine sein. Natürlich war ihr bewusst, dass ihr das nicht ausbleiben würde, solange sie weiterhin daran festhielt, sich auf keine feste Beziehung mit ihm einlassen zu wollen. Immerhin müsste sie dann irgendwann, wieder zurück nach Hause und würde, wie zuvor, alleine in ihrer Wohnung in Spanien leben. Vollkommen alleine. Die Vorstellung jagte ihr einen Schauer über den Rücken, jedoch wollte ihr keine richtige Lösung für dieses Problem einfallen. Auch wenn es sich nicht mehr bestreiten ließ, dass da etwas zwischen ihr und Dan war, konnte sie wohl schlecht für immer bei ihm einziehen, solange sie kein Paar waren.

Einfach so weiterzumachen wie sie es jetzt taten, war aber auch keine befriedigende Lösung. Besonders deshalb nicht, weil sie mit ihrer Eifersucht ganz bestimmt nicht klarkäme, die sie sicher überkommen würde, wenn eine andere Frau ihn nur falsch ansehen würde. In solchen Fällen würde sie gerne behaupten, dass sie mehr als nur eine gute Freundin war. Irgendwie schien es ihr auch ziemlich dumm, weiterhin so vehement zu bestreiten, dass sich da etwas Ernsthaftes zwischen ihnen angebahnt hatte. Sie verbrachten jeden Tag zusammen, schliefen miteinander und gingen nicht mit anderen aus. Das war bei weitem mehr, als sie mit ihrem Ex-Mann hatte. Gedankenverloren blickte sie in den Himmel. Sie hatte Daniel gestern gestanden, dass sie in ihn verliebt war und wenn sie jetzt noch einmal darüber nachdachte, war das wahrscheinlich die Untertreibung des Jahrtausends. Dieser Mann war wichtiger für sie, als jeder andere Mensch in ihrem Leben. Sie brauchte ihn wie die Luft zum Atmen. Er hatte ihr das Leben gerettet und konnte ohne große Anstrengung direkt in ihre Seele blicken. So wie sie auch in seine. Immer ging er mit sämtlichen ihrer Emotionen äußerst einfühlsam um. Genau das brauchte sie. Ohne ihn würde sie durchdrehen. Mit der Handfläche schlug sie sich gegen die Stirn. Wie konnte das nur passieren?

„Warum schlägst du dich denn selbst?"

Entsetzt fuhr sie von der Liege hoch. Als sie aufblickte stand Dan mit einem Tablett in der Hand vor ihr, unter dem Arm hatte er eine Decke eingeklemmt. Vorsichtig stellte er das Servierbrett auf ihrer Liege ab und legte die Decke dann in den Sand.

„Ich habe nur etwas vergessen", log sie halbherzig. Daniel grinste, als wüsste er genau woran sie in Wirklichkeit gedacht hatte. Er griff sich das Frühstück, das er besorgt hatte und stellte es ebenfalls auf die Decke, dann drehte er den Sonnenschirm so, dass sich die Picknickfläche im Schatten befand und strahlte. „Überraschung!"

Das war wovon er gesprochen hatte? Davor hatte sie sich gefürchtet? Möglicherweise war sie in letzter Zeit wirklich ein klein wenig zu paranoid geworden. Er zog sie an der Hand von der Strandliege zu sich herunter und sie ließ sich gegenüber von ihm fallen. Reflexartig drückte er ihr ein Küsschen auf die Lippen. „Also Liebling, jetzt wo du weißt was du mir bedeutest, dachte ich, ich sollte mich ein bisschen mehr um deine Gunst bemühen." Spielerisch streichelte er ihr über die Wange.

Sie grinste. Der Strand war im Augenblick nur von wenigen Sportlern besucht und die Liegen, die zu ihrem Hotel gehörten, größtenteils leer. Im Moment waren sie also fast alleine, was die Szene noch ein wenig romantischer machte. Sie versuchte sich zu erinnern, wann ein Mann das letzte Mal etwas dergleichen für sie gemacht hatte, kam aber immer wieder zu ein und demselben Ergebnis. Noch nie zuvor war ihr eine so romantische, wenn auch einfache Aufmerksamkeit von einem Kerl beschert worden. Vorsichtig rutschte sie neben ihn und schmiegte sich in seine Armbeuge, dann küsste sie ihn auf die Wange: „Mr. Keene, Sie sind ein Charmeur", sagte sie lächelnd. „Ich hoffe, das ist etwas Gutes", antwortete er und obwohl seine Lippen ebenfalls von einem kleinen Lächeln umspielt wurden, spürte sie seine Unsicherheit wieder. „Das ist großartig. Du bist großartig", damit küsste sie ihn. Er atmete einmal hörbar aus und sah ihr dann tief in die Augen. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich und sofort spürte sie seine Zweifel in ihm aufsteigen. Sie waren so erdrückend, dass Eve das Herz schmerzte. Es war also nicht nur von Vorteil seine Emotionen wahrnehmen zu können. „Liebling, du ... ich ... ich meine ... keine Ahnung. Ach, Fuck ... Das passt gar nicht zu mir. Mir fehlen sonst niemals die Worte. Doch bei dir habe ich ... wie soll ich sagen ... einfach so viel Angst dich verletzen zu können, dass ich ständig darüber nachdenke, wie ich mich, was dich anbelangt, verhalten muss und ganz ehrlich, ich weiß es im Moment nicht. Das verunsichert mich wahnsinnig. Gestern hast du mir erlaubt mich zu benehmen als wäre ich dein Freund. Jedoch hatte ich dieses Einverständnis nur für eine Nacht und jetzt sitzen wir hier und ich hoffe, dass ich dir ein nettes Frühstück bieten kann, aber ich weiß einfach nicht ... ich meine ...", frustriert seufzte er, bevor er abermals ansetzte, „Du küsst mich, was ich natürlich genieße, aber ... wie ... was ... was ich wissen will ... wie soll ich mich jetzt dir gegenüber verhalten?" Eve war beinahe froh, dass er die Frage, die ihm am Herzen lag, endlich ausgesprochen hatte. Dieses Gestammel war beinahe unerträglich für sie. Sie verstand woher seine Sorge kam, wusste aber selbst nicht so genau was sie nach diesem beinahe perfekten Abend und dem Liebesgeständnis nun von ihm erwartete. Während sie noch darüber nachdachte, sprach er einfach weiter: „Wären wir in unserem Hotelzimmer oder meinem Haus, hätte ich diese Bedenken nicht, aber hier in der Öffentlichkeit ... stört es dich denn, wenn ich dich vor aller Augen küsse und berühre?" „Nein!", unterbrach sie ihn ein wenig zu schroff und wusste nicht wo dieser Ausbruch plötzlich herkam, denn obwohl sie über alles Mögliche nachgegrübelt hatte, ließ sie sich selbst keine Zeit diese Frage zu überdenken. Warum auch? Sie wollte, dass er sie berührte. Immer. Diese Tatsache machte das Dilemma in ihrem Kopf aber nicht gerade kleiner und ihr war immer noch nicht klar, wie sie erklären sollte, was sie eigentlich von ihm wollte. Doch sie war ihm eine Antwort schuldig, weswegen sie versuchte das Gedankenwirrwarr zu ordnen, indem sie laut aussprach woran sie dachte: „Daniel, ich genieße diese Zeit mit dir sehr und ich will, dass du mich berührst." Gedankenverloren blickte sie wieder gen Himmel. „Noch viel mehr, als du es im Moment tust", fügte sie flüsternd hinzu. Wieder atmete er erleichtert aus. „Weißt du noch, als du gestern sagtest, du möchtest uns in kein Schema drängen? Können wir uns nicht einfach so verhalten, dass es sich richtig anfühlt und dem ganzen keinen Namen geben?" Selbst Eve wusste, wie blöd sich das anhören musste, aber es gab ihr diese gewisse Sicherheit, die sie brauchte um sich überhaupt auf ihn einlassen zu können.

Er seufzte laut: „Ich befürchte das kann ich nicht. Klar, war es meine Idee, dieser ...", er suchte nach dem richtigen Wort, „Liebelei zwischen uns keinen Stempel aufzudrücken, aber ich will dich nicht teilen müssen und ich befürchte, dass das passieren wird, wenn ich mich nicht offiziell als dein Freund bezeichnen darf."

Evelyns Gesicht verzog sich zu einer sorgenvollen Miene. „Es tut mir leid, Daniel, aber das geht im Moment einfach nicht. Dieses Wort ruft so viele Ängste in mir hervor. Ich verspreche dir jedoch, dass ich mich ganz bestimmt auf keinen anderen Mann einlassen werde. Warum sollte ich das auch tun? Der einzige Grund, warum ich dich nicht ganz offiziell an mich heranlasse, ist der, dass ich Angst vor dem Wort Beziehung habe. Da wäre es doch äußert dumm, sich auch noch einen anderen Kerl zu suchen. Außerdem sollten wir dieses Zeichen mit dem kleinen Finger beibehalten. Wann auch immer ich den kleinen Finger in die Höhe strecke, hast du die Erlaubnis dich als mein Freund aufzuspielen", sie holte tief Luft. Ein schlechtes Gewissen überkam sie, weil sie ganz genau wusste, wie verdammt egoistisch das war. Dieser Mann hatte es verdient, dass sie ihm jeden seiner Wünsche erfüllte. Aber sie brauchte noch ein wenig Zeit. „Ich weiß, es ist unfair von mir dich auf Abstand zu halten, aber das will ich eigentlich gar nicht. Alles was ich brauche ist ein bisschen mehr Zeit."

Er lachte entsetzt auf: „Du willst dich also verhalten, als wären wir ein Paar, aber gleichzeitig keines sein?" Das machte wahrscheinlich in niemandes Kopf Sinn, außer in Eves, aber ja, er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Etwas unsicher nickte sie. Resignierend zuckte er mit den Schultern und seufzte dann: „Gut, aber ich habe eine Bedingung." Fragend blickte sie ihn an und betete bereits jetzt, dass sie seiner Bitte nachkommen konnte, ohne sich unter Druck gesetzt zu fühlen. „Ich will die Erlaubnis, mich sofort einmischen zu dürfen, sollte dir ein anderer Mann zu nahe kommen." Erleichtert nickte sie. Das war kein Problem. Sie wollte doch auch gar keinen anderen Männern näher kommen. Ganz im Gegenteil, eigentlich wollte sie sämtliche Kerle so weit wie möglich auf Abstand halten. Alle, abgesehen von Dan.

Vorsichtig brach er ein Stück von einem Schokocroissant ab und hielt es ihr vor die Lippen, dabei sah er sie liebevoll an. „Dann will ich meine Nicht-Freundin jetzt mal so gut ich kann verwöhnen, sodass sie sich wünschen würde, sie hätte mich sofort fest an sich gebunden."

Sie bezweifelte nicht, dass er das schaffen würde. Zu gerne hätte sie das auch getan, aber ihre Angst ließ es einfach nicht zu. Sanft streichelte ihr Dan über den Rücken und sofort reagierte ihr Körper darauf.

Jetzt gab es ohnehin kein Zurück mehr. Sie war ihm verfallen. Mit Haut und Haar, doch obwohl sie das wusste, musste sie zuerst ihre eigenen Dämonen bekämpfen, ansonsten würde das mit ihnen beiden bestimmt kein gutes Ende nehmen.

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