Kapitel 60

6.5K 454 23
                                    

       

„Und du konntest dich tatsächlich an nichts mehr erinnern, das mit Eve zu tun hatte?", fragte Emma empört. Entschuldigend zuckte Daniel mit den Schultern: „Anfangs dachte ich sogar, sie würde mir nur etwas vorspielen, als sie sagte, sie liebt mich. Das war wirklich unglaublich dumm von mir. Evelyn ist der beste Mensch, den ich jemals getroffen habe und ich wünschte, ich hätte sie nicht so verletzt. Das gilt übrigens auch für alle anderen hier am Tisch. Es war bestimmt nicht meine Absicht euch einen Schrecken einzujagen. Aber ich konnte mich auch nicht mehr an meinen Plan erinnern, hierher zu kommen." Er warf einen vorsichtigen Blick über die Schulter zu Eve, die jedoch ziemlich abwesend wirkte. „Geschweige denn, was der Grund für diesen Urlaub sein sollte", nuschelte er leise. Plötzlich riss Eve empört die Augen auf. Oh, oh. Sie hatte ihm wohl doch zugehört. „Der Grund für diesen Urlaub?", fragte sie aufgebracht. Alle Anwesenden am Tisch schmunzelnden. „Daniel!", schimpfte Eve, „Was geht hier schon wieder vor?" „Ich dachte es wäre eine gute Idee nach all den Dingen, die uns widerfahren sind, mit den Leuten auszuspannen, die uns am meisten am Herzen liegen. Da traf es sich einfach gut, dass meine Eltern dieses Hotel hier besitzen und ich wollte sie ohnehin nochmals besuchen, bevor wir endgültig zurück nach Spanien gehen."

Seine Eltern sahen ihn verdutzt an: „Ihr geht jetzt schon zurück nach Spanien? Ist das nicht eigentlich gegen deinen Vertrag?", wollte sein Vater wissen. „Ich habe den Vertrag aufgelöst. Es wird Zeit, ein wenig kürzer zu treten. Immerhin bin ich jetzt schon ziemlich alt", scherzte er. Seine Mutter betrachtete ihn aufmerksam. Natürlich tat sie das. Seine Eltern wussten immerhin, dass seine Basketballkarriere für gewöhnlich alles war, was für ihn zählte. Aber das war vor diesem Anschlag gewesen und vor Evelyn. Bevor ihm bewusstwurde, dass Geld und Berühmtheit überhaupt nichts wert waren und er sein ganzes Leben nicht länger als Wettkampf sehen wollte. Klar, müsste er es auch als Trainer weiterhin ziemlich ernst nehmen, aber er war für die ersten beiden Jahre nur Assistenztrainer und musste damit nicht mal mehr mit zum Trainingslager nach Miami, wenn er nicht wollte. Er bezweifelte, dass er das vermissen würde. Reguläre Trainingszeiten und Spiele ganz bestimmt. Aber an diesem Trainingscamp war ihm noch nie viel gelegen. Der einzige Grund warum sie überhaupt hierherkamen um zu trainieren, war der, dass der Hauptsponsor ihres Teams, auch ein NBA Team sponserte und die Marketingchefs dieser Firma darauf bestanden, dass die beiden Teams außerhalb der Saison gemeinsam trainieren. Wenn er jetzt nach Hause kommen würde, hätte er noch zwei Wochen frei, bevor der normale Spielplan wieder losging. Ganz bestimmt würde es sein Team in die Playoffs schaffen und einige seiner Teammitglieder würden abermals für die spanische Nationalmannschaft aufgestellt werden. Er hingegen könnte sich dann ganz entspannt zurücklehnen und seine Zeit mit Eve genießen.

„Du hast deinen Vertrag aufgelöst?", fragte seine Mutter schockiert. „Ich habe einfach meine Prioritäten nun anders sortiert, Mom. Es ist alles in Ordnung. Ich bin alt genug um solche Entscheidungen alleine zu treffen", erklärte er, um sie zu beruhigen. Immer noch sah sie aus wie vor den Kopf gestoßen: „Und du hast es nicht mal für nötig gehalten uns das zu sagen? Basketball ist doch dein Leben, Daniel. Das einzige, das du je geliebt hast. Ich denke, dieser Anschlag hat dich viel mehr mitgenommen, als du zugeben willst. Davor hättest du deine Karriere bestimmt niemals einfach so an den Nagel gehängt. Bist du denn sicher, dass du nicht nochmal mit eurer Therapeutin sprechen willst, bevor du so eine weitreichende Entscheidung triffst?" Eve warf ihm einen Blick zu, der unmissverständlich klarmachte, dass auch sie es für besser hielt, das alles nochmals zu überdenken. Sie wusste mittlerweile, wie impulsiv Daniel sein konnte und dass er seine Entscheidungen oft aus dem Bauch heraus traf, doch so war es dieses Mal nicht. Keiner der Anwesenden schien zu verstehen, dass es hier doch um so viel mehr als einen Job ging. Hier ging es darum sich klarzuwerden, wer er sein wollte. Und das nicht nur heute. Wo wollte er in zehn Jahren stehen? Wie sollte sein Leben mit siebzig aussehen? Genau deshalb hatte er diese Entscheidung getroffen und sie stand für ihn fest. Er konnte Evelyn ansehen, dass sie sich für diesen Meinungswechsel verantwortlich fühlte, doch das musste sie nicht. Sie hatte ihn zu nichts gedrängt und er machte es auch nicht ihretwegen, sondern nur deshalb um selbst glücklich zu werden. Da ihn nun alle am Tisch abschätzend musterten, war es wohl an der Zeit für sein Vorhaben einzustehen. Er wollte vor allem Eves Eltern diese Angst nehmen, die er auf ihren Gesichtern lesen konnte. Sie sorgten sich, dass es bloß ein vorübergehender Gemütszustand sein könnte, warum er mit ihrer Tochter zusammen sein wollte. Doch das war alles Blödsinn. Dieses Attentat mochte einiges an seiner Denkweise verändert haben, aber nicht so sehr, dass er jetzt nicht mehr zurechnungsfähig war. Ganz im Gegenteil. Er sah klarer als je zuvor. Dieser Mann, der er vor dem Anschlag war, dem nichts wichtig zu sein schien und der vollkommen egoistisch durch die Welt ging, existierte nicht mehr. Er wollte glücklich sein. Mit seiner Eve. Es war die Zeit gekommen allen Mut zusammenzunehmen und sie zu bitten offiziell sein Mädchen zu werden. Jetzt jedoch würde das alles nur noch schwieriger sein, wo sein Plan nicht ganz aufgegangen war, wie er es eigentlich sollte. Nun schien es ganz so, als würden die Menschen, die ursprünglich hierhergekommen waren um ihm zu helfen Eve von seinem Vorhaben zu überzeugen, dem Ganzen auch eher skeptisch gegenüberstehen.

Er erhob sich von seinem Stuhl und sah in die Runde: „So war das eigentlich nicht geplant, aber ich nehme was ich bekommen kann", begann er seine Rede. Verdutzt sah ihn Eve an und versuchte sich zusammenzureimen, was er jetzt wohl vorhatte. Fast hätte er erwartet, dass sie an seinem Shirt ziehen würde, um ihn dazu zu bringen, sich wieder zu setzen, stattdessen blickte sie ihm fragend in die Augen. Laut seufzte er: „Ja, es mag euch allen komisch vorkommen, dass ich meine Meinung was meine Karriere anbelangt, geändert habe und ja, ihr habt bestimmt auch recht damit, dass es an diesem Attentat liegt. Aber nein, es hat nichts damit zu tun, dass ich nicht mehr zurechnungsfähig bin. Falls ihr mir das nicht glaubt, könnt ihr gerne unserer Therapeutin fragen und ich denke auch Eve ist bewusst, dass ich im vollen Besitz meiner geistigen Fähigkeiten bin." Obwohl er erwartet hätte, dass sie sich im Moment ebenso unsicher war, wie ihre Familie, nickte sie. Großartig, sein Mädchen stand hinter ihm und stärkte ihm den Rücken. Wie immer. Sie waren ein Team. Damit konnte doch alles nur gut werden. „Warum ich jetzt zu dem Entschluss gekommen bin, nicht mehr länger professionell Basketball zu spielen, ist eigentlich recht schnell erklärt. Ich habe bisher Basketball gespielt, weil das Gewinnen, das Einzige war, das mir etwas bedeutet hatte. Wie meine Mom schon sagte, Basketball war bis vor Kurzem noch alles, das ich wirklich liebte, abgesehen natürlich von meiner Familie. Jetzt hat sich aber etwas geändert. Ich liebe das Basketballspielen immer noch, aber nicht mehr des Gewinnens Willen. Nein, ich liebe es als Sport. Mein Team bedeutet mir weiterhin alles und darum hab ich mich auch für eine Karriere als Trainer entschieden. Doch nun gibt es außerdem noch einen Menschen, der mir weit wichtiger ist als jeder andere auf dieser Welt. Jemand, der durch jede Situation, mag sie auch noch so schlimm und niederschmetternd gewesen sein, mit mir gegangen ist. Ich glaube ihr alle wisst von wem ich spreche", langsam drehte er sich zu Eve um und sah ihr in die Augen, dann zog er sie hoch. Sie sah ihn verdutzt an. „Home, ich glaube ich habe es dir schon einige Male gesagt, aber es hat bisher noch nie zu dem erwünschten Ergebnis geführt", er lachte, „Ich liebe dich und ich will den Rest meines Lebens mit dir verbringen. Mittlerweile kenne ich dich gut genug um zu wissen, dass du gleich in Panik ausbrechen wirst, deswegen sage ich es zur Sicherheit gleich im Vorhinein. Nein, das ist kein Heiratsantrag. Trotzdem werde ich jetzt auf die Knie fallen, also lauf bitte nicht davon, mein Liebling." Wie angekündigt ließ er sich auf den Boden nieder. „Eve, willst du meine Freundin sein?" Er hielt ihr das Schmucketui unter die Nase und die Diamanten auf dem zierlichen Ringband funkelten im Licht. Etwas verdutzt blickte Eve in die Runde und dann zu Dan. Plötzlich fing sie an lauthals zu lachen. Was war denn jetzt los? Entsetzt sah Daniel auf. „Bin ich das nicht schon lange?", fragte sie belustigt. Etwas unbeholfen zuckte er mit den Schultern, als sie sich ebenfalls neben ihm auf den Boden kniete. Liebevoll griff sie mit beiden Händen nach seinem Gesicht und lächelte ihn an: „Ich war schon immer dein Mädchen, Daniel. Weißt du, je mehr ich mir eingeredet habe, dass es besser wäre Abstand zu dir zu halten, umso mehr hast du um mich gekämpft und ich hatte dabei so wahnsinnig oft das Glück in deine wundervolle Seele blicken zu dürfen. Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt und bin mir mittlerweile ganz sicher, dass wir beide alles schaffen würden. Egal, wie aussichtslos unsere Situation zu sein scheint, wir bewältigen einfach alles. Es gab kein Entkommen für uns beide, denn das Schicksal wollte einfach, dass wir ein Paar sind. Dafür hättest du mir ganz bestimmt keinen Ring kaufen müssen, aber er ist wirklich wunderschön und um sicherzugehen, dass er auch wirklich eine Bedeutung hat, möchte ich dich auch etwas fragen." Sie sah ihm tief in die Augen: „Daniel, willst du mich heiraten?"

Ein Raunen ging durch die Menge. Daniel hatte keine Ahnung wie ihm geschah. Hatte sie ihm denn wirklich gerade diese Frage gestellt? Die Evelyn, die sich normalerweise vor jeder festen Bindung drückte? Aber warum überlegte er eigentlich noch? Natürlich wollte er sie heiraten. So fest er konnte zog er sie an seine Brust: „Ja, Home. Lass uns heiraten." Er lachte und ließ dann ein wenig von ihr ab: „Müsste nun nicht eigentlich ich diesen Ring tragen?", fragte er lachend.

SeelentattoosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt