8.Wie jemand sich einen Rat holt

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Unsicher, ob ich nun klingeln sollte oder ihm besser eine Nachricht schrieb, stand ich vor dem prunkvollen Haus eines meiner besten Freunde. Es war nicht allzu spät und Liam würde gewiss noch wach sein, so fiel die Entscheidung letztendlich aufs Klingeln. Hoffentlich störte ich ihn und Sophia grade nicht bei etwas Wichtigem.

Es dauerte nicht lange und das massive, schmiedeeiserne Tor schwang vor mir auf. Zielstrebig lief ich auf das riesige Haus zu, wo Liam in der offenen Tür auf mich wartete. Der Nieselregen war zwar nicht sonderlich stark, aber mittlerweile war mir die Kälte bis in die Knochen gekrochen. Dementsprechend froh war ich, als ich endlich in die trockene Wärme des Hauses eintreten konnte.

Liam sah mich überrascht an und beobachtete, wie ich mich sowohl von meinem klammen Mantel als auch den Schuhen befreite und mich dann an ihm vorbei ins Wohnzimmer schob. „Hallo Harry, ich freu mich auch dich zu sehen, mir geht es gut, wie geht es dir?"

Dezent wies Liam mich auf meine schlechten Manieren hin und ich lachte auf. Auch jetzt, in unserer Pause, fühlte er sich noch dafür verantwortlich, dass wir alle uns gut benahmen.

„Ja, wie immer eine Freude", lachte ich und sah Liam an. Wie es mir ging wurde ich schon lange nicht mehr gefragt und ich war nicht sicher, wie die Antwort lautete.

Liam legte den Kopf schief und folgte mir ins Wohnzimmer. „Setzt dich doch, magst du ein Bier?" Die Aufforderung Platz zu nehmen war unnötig, ich hatte mich bereits auf sein dreitausend Pfund Sofa gefläzt und ließ mir nun von Liam ein Bier reichen.

Zwar beschlich mich das Gefühl, dass Liam irgendwie anders war als sonst, aber wenn ich ehrlich zu mir war, war es ganz normal, dass die Pause uns alle veränderte.

Es machte mir Angst, dass wir uns so sehr voneinander entfernten und uns in verschiedene Richtungen entwickelten. Natürlich musste es irgendwann so kommen, aber für mich fühlte sich die Pause schon jetzt so endgültig an, dass ich mich fragte, was ich als nächstes machen sollte.

„Also Harry, was verschafft mir die Ehre deines Besuches?" Irgendwann brach Liam das Schweigen. Ich knibbelte an dem Etikett meiner Bierfalsche und dachte – wie so oft in letzter Zeit – an die junge Brünette. Sie war keine klassische Schönheit, wie Taylor, Cara oder gar Kendall, Amelia war auf ihre ganz eigene Weise schön, eine Schönheit, die ehr von innen heraus kam.

„Kann ich meinen Freund nicht einfach so besuchen?"

Liam sah mich skeptisch an, sagte aber nichts dagegen. „Die Pause scheint dir ganz gut zu bekommen Harry", war alles, was ich aus ihm heraus bekam. Dabei schien er aber nicht sonderlich glücklich zu sein, obwohl grade er sich auf die Pause und gemeinsame Zeit mit Sophia gefreut hatte.

„Es ist angenehm, Zeit für ganz banale Dinge zu haben und einfach von einem Tag zum Nächsten zu leben." Gelassen zuckte ich mit den Schultern und betrachtete das Bier in meinen Händen. Diese Flaschen waren einfach viel zu klein, ständig musste man aufstehen und Nachschub organisieren.

Liam schien genau das auch zu denken, denn ehe ich mich versah, zauberte er ein Sixpack für uns von irgendwo her und organisierte auch noch Chips und Gummibärchen. Ich nutzte die Zeit um mich im Wohnzimmer umzusehen und allmählich wurde mir auch klar, was mich an dem Bild hier störte. Sophias Entwürfe und Stoffbahnen, die sonst den größten Teil des Wohnzimmers einnahmen, fehlten gänzlich. Das war merkwürdig, denn Liam hatte sich nie an Sophias Chaos gestört. Vielmehr war er der Meinung, dass ihr Chaos seiner Bude eine wohnliche Note gab.

„Wo ist denn Sophias ganzes Zeug hin?"

Liam zuckte zusammen, als hätte ich ihn geschlagen und da wurde mir klar, dass auch sonst nichts mehr von Sophia zu finden war, jedenfalls nicht im Flur oder in der offenen Küche, wo sonst immer Schuhe oder ihre bunt gemusterten Tassen herumstanden.

LebenslichtWhere stories live. Discover now