Tag 76 // Tag 74

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Heute war es Montag und als ich in die Schule fuhr, war sie noch immer geschmückt. Und keiner machte sich die Mühe, die Girlanden und Parolen zu beseitigen. Wir hatten gewonnen und das fühlte sich großartig an.

Als ich die Schule betrat, starrten mich wieder alle an. Sie tuschelten hinter meinem Rücken, wenn sie dachten, ich bemerke es nicht. Ich hatte für sie nur ein Lächeln übrig. Auch früher hatten sich mich angesehen, zu mir aufgesehen. Mit Zoey und Bianca bildete ich das Teufelstrio, wir waren die Elite der Schule.

Aber als der Tumor kam und nicht wieder ging, sah ich, wie falsch die beiden waren. Lästerten mit mir über die jeweils andere. Ich machte mit, ich war kein Stück besser. Aber ich entdeckte, dass das nicht die Lebensweise war, die ich wollte. Ich wollte wahrhaft echte Freundschaft und opferte die Beziehung, die am nächsten an so etwas herankam.

Doch dann zog ich mich zurück und wurde zu dem stillen Mädchen in Schwarz in der letzten Reihe. Ich bin ein Freak, der gefallene Engel.

Ich bin Jo.

In Mathe saß ich wieder ganz hinten, meine Beine auf dem Stuhl neben mir abgestützt. Ich las ein Buch, kritzelte auf den Notizen vor mir herum und ab und an lutschte ich heimlich ein Bonbon.

In Biologie starrte ich aus dem Fenster und hang meinen Gedanken nach. In die Schule zu gehen war für mich sinnlos. Das Lernen und Wissen war an mich verschwendet. Aber ich ging nicht in die Schule, weil ich lernen wollte. Das hatte ich schon lange abgeschrieben. Ich ging, um nicht allein in meinem Bett zu versumpfen.

Schließlich war Mittagspause. Ich erwischte mich dabei, dass ich mich inzwischen jeden Tag darauf freute. Ich musste nun diese fünfundvierzig Minuten nicht in irgendeiner stillen Ecke verbringen und mein Leben verfluchen. Jetzt konnte ich mich mit Nathalie und Logan unterhalten, lachen und Scherze machen.

»Hey Jo, du kommst gerade richtig!«, rief Nathalie und winkte mich zu sich. Ich ließ mich neben ihr auf den Stuhl fallen.

»Wieso, was ist los?«, fragte ich.

»Nat will dich wieder mit zu den Golden Girls schleppen«, sagte Logan trocken und trank ein Schluck aus seiner Cola.

»Golden Girls?« Mit verwirrter Miene wandte ich mich an Nathalie. Diese grinste mich an.

»Vier absolut sympathische Omis, die ich zu ihrem Friseurbesuch fahren soll«, erklärte sie. Logan beugte sich zu mir vor und sah mich mit verschwörerischer Miene an.

»Als ich das letzte Mal mitkam, haben sie mich erst über mein Liebesleben ausgequetscht, mir dann vorgehalten, ich hätte eine Essstörung, weil ich so dünn wäre und dann haben sie allen im Laden erzählt, ich sei schwul«, beklagte er sich. Dabei sah er aus, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. Ich schlug mir die Hand vor den Mund und kicherte ungewollt.

»Komm mit, Jo. Das wird lustig«, versuchte Nathalie mich zu überzeugen.

Ich sah sie an und lächelte. »Warum nicht?«

Im Kreativen Schreiben saß ich wieder neben Kyle. Er spielte mit einem Stift und sah auf, als ich neben ihm Platz nahm.

»Hast du schon mit dem Profil über mich angefangen?«, fragte er. Ich schüttelte den Kopf.

»Dafür möchte ich dich erst besser kennen lernen«, gab ich offen zu. »Wenn ich dich nach dem beurteilen müsste, was ich von dir sehe und was du andere von dir sehen lässt, dann würde ich Mrs Dickinson eine völlig falsche Person offenbaren.«

»Und wieso interessiert es dich, was unsere Lehrerin von mir denkt?«, flüsterte er. Besagte Lehrerin war soeben eingetroffen.

»Vielleicht weil es Verschwendung ist, seine Zeit damit zu verbringen, eine Persönlichkeit zu kreieren, die zwar mit der Gesellschaft übereinstimmt, aber nicht mit der eigenen Person selbst.« Mit vorgerecktem Kinn sah ich Kyle entgegen. Er dagegen lehnte sich zu mir.

The Bucket ListWo Geschichten leben. Entdecke jetzt