Tag 83 // Tag 82

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Tag 83

Es war Montag. Es war April. Es wurde wärmer. Aber mein Innerstes blieb immer noch kalt.

Ich lächelte, weil man das tat, wenn die Mutter einem Frühstück zubereitete. Ich zog mich an, weil man das tat, wenn man aufstand. Ich fuhr zur Schule, weil man das tat, wenn man noch keinen Abschluss hatte. Nichts tat ich aufrichtig. Alles war verwaschen und verblasst und ich hörte auf, nach der Bedeutung zu suchen oder nach dem Sinn zu fragen. Weil man das eben tat, wenn man starb.

In der Schule wandelte ich durch die ersten Stunden, ohne etwas mitzubekommen. Ich grübelte und spürte, wie ich dabei war, in ein Loch der Depression zu versinken. Ich musste weiter machen. Ich musste unbedingt leben.

In der Mittagspause klammerte ich mich an Nathalies Geschichten und Logans ironische Kommentare. Nathalies funkensprühende Art erweckte mich zum Leben.

Ich saß neben ihr in der Mittagspause und starrte stumm auf den Tisch, während Nathalie lachte.

»Was hast du so am Wochenende gemacht, Jo?«, fragte mich da Logan. Erschrocken blickte ich auf und sah in seine braunen Augen. Ich blinzelte.

»Ich war mit Kyle angeln«, sagte ich ruhig. In der nächsten Sekunde spuckte Nathalie ihre Limo über den ganzen Tisch.

»Du warst was?«, rief sie lauthals. Mit riesengroßen Augen starrte sie mich an. Ihre Kinnlade klappte nach unten und sie schüttelte fassungslos den Kopf. Ich dagegen wurde rot und schaute mich schnell um. Jeder Schüler im Umkreis von drei Tischen sah zu uns herüber.

»Wir waren nur angeln«, beteuerte ich leise und machte mich klein.

»Es ist egal, ob ihr nur angeln wart.« Nathalie imitierte mit ihren Fingern Anführungszeichen. »Dass du dich überhaupt freiwillig mit diesem Idioten triffst, ist eine Sensation. Wie kam es dazu?« Ich zuckte die Schultern.

»Wir müssen im Kreativen Schreiben ein Projekt bis Ende des Schuljahres bearbeiten. Deshalb haben wir uns getroffen«, erklärte ich und spielte mit dem Strohhalm in meiner Wasserflasche.

»Zum Angeln?«, fragte Logan skeptisch.

»Ich wollte schon immer mal angeln gehen«, gab ich kleinlaut zu.

»Jo«, begann Logan und beugte sich über den Tisch näher zu mir. »Wir reden hier von Kyle Thompson. Derjenige, der unser Fußballteam gerettet hat.« Ich verdrehte die Augen.

»Meinst du nicht, er ist mehr als das?«, fragte ich, aber niemand ging auf mein Ablenkungsmanöver ein. Nathalie und Logan sahen mich nur abwartend an. Schließlich seufzte ich.

»Bitte!«, stieß ich theatralisch hervor. »Ich habe ihn gebeten, mir bei den Dingen zu helfen, die ich unbedingt einmal tun wollte. Und angeln gehörte eben dazu.«

»Angeln steht ganz oben auf deiner Liste mit Dingen, die du noch nie getan hast, aber schon immer tun wolltest?«, fragte Nathalie ungläubig.

»Ich hab sogar einen Fisch gefangen«, berichtete ich und gestattete mir ein Grinsen. Und da war es um Nathalie geschehen. Sie brach in schallendes Gelächter aus. Das Problem bei Nathalie: Sie lachte sehr laut und sehr eigenartig, weswegen wieder die halbe Cafeteria böse zu uns herüber starrte.

»Ich kann nicht glauben, dass ich hier bei euch gelandet bin«, murmelte ich lächelnd.

Als ich diesmal den Kursraum für Kreatives Schreiben betrat, war Kyle noch nicht da, worüber ich froh war. Ich wusste nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Ich hasste ihn inzwischen nicht mehr, aber trotzdem hielt ich ihn immer noch für einen arroganten Idioten.

The Bucket ListWo Geschichten leben. Entdecke jetzt