Elvira (X)

4.2K 199 18
                                    

Ich küsse ihn. Nicht nur, um ihn aus dieser blöden Situation zu befreien, sondern weil ich es will, aus freien Stücken. Außerdem möchte ich meine Gefühle testen. Mag ich ihn wirklich? Spielen meine Gefühle wirklich verrückt, wenn es um ihn geht? Kann eine romantische Beziehung mit uns möglich sein? Ok, ich fühle mich von mir selbst ertappt. Ja, ich mag Andre. Wir sind beide einsam und ich bin ehrlich, ich will ihn nicht verlieren. Wir kennen uns schon eine Weile und ich denke nicht, dass ich ohne ihn noch leben kann. Er ist immer da, in meiner Nähe, und beachtet mich. Ebenso habe ich den Drang, ihn von der Welt zu beschützen. Das ist dumm, aber was soll ich dagegen tun? Manchmal glaube ich, dass ich mein Verstand schon längst verloren habe und nicht mehr richtig handele, weil ich hier zu lange lebe, aber das kann doch auch nicht sein... Habe ich Andres Welt und Wünsche unbemerkt aufgenommen? Ich unterdrücke diese Gedanken. Jetzt zählt nur Andre und ich. Niemand sonst.

Der erste Schritt ist immer schwer, deshalb nehme ich meinen Mut zusammen, um meine Lippen auf seine zu drücken. Ich kann nicht mehr richtig denken. Vergessen ist alles um mich herum. Langsam und unsicher küsse ich ihn. Zögernd erwidert er den Kuss und wird wild. Er übernimmt die Kontrolle und nutzt seine Zunge, die meine Lippen streichen. Meine Hände finden von alleine zu seinem Nacken.

Andre raubt mir den Atem. Nie habe ich mich bei einem Kuss so geliebt gefühlt. So aufregend, intensiv und erregt. Ich verfalle ihm, immer mehr und mehr, und das bereitet mir Unbehagen.

Als ich Gekicher und Geflüster höre, erwache ich aus meiner Trance und entferne mich von ihm. Ich sehe ihn schockiert an. Nicht, dass ich wütend auf ihn bin. Das bin ich nicht. Eher bin ich sauer auf mich, da ich ihn so überfallen habe. Was wohl seine Familie über uns denkt? Das ist echt peinlich. Ich spüre schon, wie mir die Röte ins Gesicht steigt. Er schaut verlegen weg, als ob er sich selbst dafür schämt. Das habe ich noch nie gesehen. So schüchtern. Sonst ist er doch ganz anders.

Andre betrachtet mich mit diesen blauen Augen, die mir manchmal so tief erscheinen. Ab und an habe ich Angst, von ihm besessen zu werden. Dieses Blau zieht mich sozusagen an, fesselt mich regelrecht. Es ist so stark und zeigt mir so viele Gefühle, die ich gar nicht richtig fassen kann. Sein Atem streift meine Wange, die bestimmt knallrot ist, und sein Blick verrät mir, was er wohl von dieser Situation denkt. 'Wie kommt es zu dieser Initiative?' Fast kann ich schon Spott in meinen eigenen Gedanken hören, aber ich ignoriere diese Stimme.

Als ich einen Blick in Richtung Tür werfe, sehe ich Andres Mutter, die mich komisch anguckt. Dieselben blauen Augen wie Andre, die töten würden. Es ist seltsam. Einerseits scheint sie Andre zu hassen, aber andererseits ist sie sehr besitzergreifend. Es kommt mir widersprüchlich vor. Aber was stimmt mit ihr nicht? Ich verstehe es einfach nicht.

Ich tue ihm nichts. Ich bin die Schwache und er der Dominante in dieser Beziehung. Eigentlich sollte ich etwas dazu sagen, diese Blicke werfen. Aber ich tue es nicht. Ich fühle mich bei ihm wohl, auch wenn ich nicht mit allem zufrieden bin, was er tut. Trotzdem ist er besonders und ein guter Mensch. Er ist der Einzige, der mich so mag, wie ich bin, der alles für mich tun würde. Wer macht schon so etwas? Genau... niemand. Ich sollte mich glücklich schätzen, dass mich so ein Mann gerne hat und mich will.

Auf einmal spüre ich eine Hand an meiner Wange. Mein Herz beginnt zu rasen und ich schaue ihn an. Ich mag sein Gesicht, dieses Blau sprüht Funken, ich verliere mich wieder. Mein Körper ist unter Strom. Dieser Moment gehört ganz alleine uns, nicht einmal seine Mutter kann diese Bindung brechen. Ich lächle ihn an und küsse ihn noch einmal wie zuvor auf die Lippen. Ganz kurz, aber mit sehr vielen Empfindungen.

Normalerweise würde ich vor Scham am liebsten sterben, aber auf diesen Gedanken komme ich gar nicht. Nur Andre zählt. Ich schüttele den Kopf ohne einen wirklichen Grund, was ihn grinsen lässt. So ein schönes Lächeln. Ich liebe diesen Moment mit ihm und genieße ihn in jedem Zug. So sollte es immer sein. Glücklich, entspannt und zufrieden.

UnheilWhere stories live. Discover now