Andre (X)

9.9K 425 46
                                    

,,Ehm...Hallo? Können Sie mir helfen? Wo ist der Bahnhof?", frage ich freundlich und zeige ihr meine tollsten Schauspielkünste, die ich im Laufe der Jahre in meinem Beruf gelernt habe. Dabei tippe ich ihr auf die nackte Schulter, die in mir ein Kribbeln auslöst und warte bis sie mir ins Gesicht sieht.

Sie dreht sich um und sieht mich schreckhaft an, aber dann, als ihre Augen meine treffen, ändert sich alles. Sie lächelt mich an... einen Fremden. ,,B-Bahnhof?", stottert sie, um eine Bestätigung zu hören. Ich nicke und breche keine Sekunde den Augenkontakt ab, da ich nicht genau weiß, wann ich nächste Mal ihren Blick auf mir haben werde. Zwar habe ich geplant, sie zu mir zu holen, aber ich weiß noch nicht genau, wann.

,,Sie müssen hier entlang. Also immer geradeaus bis zur nächsten Ampel und dann rechts. Wenn Sie dann dem Weg folgen, kommen Sie am Bahnhof an. Ok?", sie erklärt mir den Weg auf eine so süße Art, dass es mir schwer fällt, ein Lachen zu verkneifen. Ich kann aber meine Rolle beibehalten, ohne einen Fehler auszuüben.
Wie sie ihre Arme hin und her bewegt hat, um mir den Weg zu beschreiben, ist wirklich niedlich gewesen.

Doch mir wird klar, dass es gleich mit uns beiden vorbei sein wird, wenn ich nicht etwas unternehme. Diese kleine Berührung, die ich mit ihr hatte, reicht mir nicht. Nur ein einziger Finger konnte ihre zarte Haut berühren, aber am liebsten will ich sie richtig berühren. Ich möchte mit meiner Hand ihre Wange streichen, in ihre Augen sehen und sie in eine Umarmung drücken. Ich will sie küssen und ihre Lippen an meinen spüren. Ihren Körper verlangend an meinen schmiegen, sie betteln sehen...

,,Soll ich es noch einmal erklären?", fragt sie und holt mich aus meiner Fantasie heraus. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich die ganze Zeit auf ihre Lippen starre. Ich bin mir sicher, sogar zu 100 Prozent, dass sie sich unwohl fühlt und mich loswerden möchte, aber das lasse ich nicht zu.

,,Tut mir Leid, ich bin neu hier und habe nicht so einen guten Orientierungssinn. Entschuldigen Sie, wenn ich Sie nicht ganz verstehe und nicht mitkomme", erwidere ich höflich und versuche, leicht zu lächeln. Sie nickt und sagt mir dann, dass sie mich zum Bahnhof begleiten möchte, wenn es in Ordnung für mich wäre. Ich nicke sofort und bin froh, dass ich länger Zeit mit ihr verbringen kann.

Wir laufen langsam zum Bahnhof. Ich sehe, dass sie sich anspannt und sich schlecht fühlt. Sie hat ein schlechtes Gewissen. Es ist auch nicht wirklich schwer zu erkennen, wenn sie ihren Blick auf den Boden gerichtet hat und mir keinen einzigen zuwirft. Ich folge ihr, ohne etwas zu sagen. Trotzdem bin ich wütend, dass sie mich ignoriert und nicht ansieht. Wenigstens für einen kurzen Moment wollte ich ihre Aufmerksamkeit haben, doch sie lehnt mich strikt ab.

Als wir angekommen sind, blickt sie mich wieder an und sagt mir, dass wir da seien. Ich nicke einfach, obwohl mich der Bahnhof nicht interessiert.

,,So, dann sollte ich jetzt auch wieder gehen. Ehm... Bye. Schöne Fahrt noch", sagt sie wie immer freundlich und nett und schaut wieder auf den Boden.

,,Hmm... Sie wollen nach Hause?"
Sie nickt, aber würdigt mich keines Blickes. Ich lecke mir über die Lippen und lächele.

,,Warum wollen Sie nach Hause?", frage ich in einem sehr tiefen und gefährlichen Ton, der sehr viel Zorn enthält. Sie blickt sofort auf und guckt mich ängstlich an. Ihre Augen weiten sich und ich sehe, wie sie schluckt. Sie hat Angst. Sie hat Angst vor mir. Wie ich diesen Ausdruck in ihrem Gesicht liebe.

Plötzlich dreht sie sich um und rennt weg. Sie rennt weg vor mir, weil sie Angst hat. Ich schüttele mein Kopf und lache. Jetzt ist mir bewusst, dass ich sie unbedingt brauche. Ich benötige sie und das so schnell wie möglich. Ich muss sie holen und das werde ich auch.

,,Elvira, sei in den nächsten Tagen brav und mach keinen Unsinn. Ich bin bald da und versüße deinen Tag."

UnheilOù les histoires vivent. Découvrez maintenant