Epilog

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Wie gewohnt setze ich mich auf die Couch, die eher einer Liege ähnelt, um mich analysieren zu lassen. Nach der obligatorischen Begrüßungsformel, die wie immer äußerst förmlich ausfällt, beginnt er auch gleich mit der Sitzung.
„Irgendwelche Fortschritte in der Schule? Neue Freunde?" fragt mich mein Psychologe. Seine Art ist wie immer sofort auf das Wesentliche beschränkt. Ich nicke, aber mein Gesichtsausdruck ist trotzdem traurig: „Ich hab ein Mädchen kennen gelernt."
„Das ist gut. Du integrierst dich." stellt er sanft lächelnd fest und macht sich Notizen auf seinem Block, der vor ihm auf dem Schoß liegt. Wieder nicke ich traurig: „Sie heißt Belle, Annabelle." Stirnrunzelnd sieht mich der Mann, der in den vergangenen Wochen und Monaten meine Eltern trotz meines rebellischen Verhaltens beruhigt hatte, mein Lebensgeist sei geweckt worden, an.
„Wie geht es dir Ian?" fragt mein Psychologe und seine Augen liegen eindringlich auf mir. „Wie soll es mir schon gehen?", erwidere ich patzig, wie Isa es getan hätte, „Jetzt wo Isa tot ist."
Erstaunt hebt er die Augenbrauen, er sieht mehr als überrascht aus. Wahrscheinlich ist überrascht noch gar kein Ausdruck. Ich hatte angenommen meine Mutter hatte ihn bereits von den jüngsten Ereignissen unterrichtet. Mit noch immer verwundertem Gesicht hakt er nach: „Isa ist tot?" Ich nicke, für immer ist sie von mir gegangen. „Es ist niemand mehr da, der mich fordert. Ich muss jetzt allen klar kommen." murmele ich mehr zu mir selbst. Dabei stimmt das nicht ganz, irgendwie sind Isas Gedanken zu meinen geworden und ich weiß, was ich zu tun habe, sobald ich an ihr langes blondes Haar und ihre kobaldgrünen Augen denke. „Sie sagen mir gehe es gut, aber Sie hatten nichts damit zu tun, weder Sie noch ihre Sitzungen. Es war allein Isas Verdienst und jetzt ist sie fort." meine Stimme klingt wütend und zum Schluss werden die Worte immer farbloser, leiser. Sein Blick ruht auf mir, als überlege er.
Dann verkündet er noch immer mit überraschtem Gesichtsausdruck: „Ian, ich freue mich dir mitteilen zu können, dass dies deine vorerst letzte Sitzung ist." Verwirrt sehe ich ihn an, diese Worte kommen vollkommen unvorbereitet, auch wenn ich laut ihm, in den letzten Wochen enorme Fortschritte gemacht habe. Es macht keinen Sinn, denkt er nicht, dass der Tod meiner einzige, besten Freundin keine psychische Schäden hinterlassen würde oder dass ich mich nicht in den Tod stürzen würde? Normalerweise machen das Patienten wie ich doch so. Rückfällig werden, nennen es die Ärzte, es endlich beenden nenne ich es, wenn solch ein einschneidendes Ereignis eintrifft, wie ein entgleisender Zug eintrifft.
„Ian, ich habe dir damals, im Krankenhaus, erzählt, dass sich Patienten oft imaginäre Freunde schaffen, die einem ins Leben zurückführen können." Er macht eine Pause und sieht mich forschend an. Wieso erzählt er mir jetzt wieder vom Krankenhaus, von den Worten die ich nicht gehört hatte, nicht hatte hören können und nicht hören wollte. Er lächelt, als er merkt, dass ich ihm nicht folgen kann und eröffnet mir: „Und zur gleichen Zeit, in der gleichen Sekunde, hast du Isa geschaffen." Ich lache leise auf. Wer ist jetzt hier derjenige, der verrückt ist? Vielleicht sollten wir mal Plätze tauschen, wer weiß vielleicht ist der Typ nur halb so kompetent wie meine Mutter denkt.
„Das würde ja bedeuten, dass" lache ich sarkastisch, dann jedoch breche ich ab und denke kurz darüber nach. Warum meine Eltern Isa nicht gemocht haben und warum nie jemand auf ihre Fragen geantwortet hat, außer ich. Wieso sie immer da gewesen war, wenn ich sie gebraucht hatte und mit ihr der gewesen war, der ich sein wollte. „Ich habe Isa getötet?" bringe ich mit brüchiger Stimme hervor. Die Realität trifft mich, ich bin frei.
„Weil du Isa nicht mehr brauchst."

Es lohnt sich zu leben, weil es nicht möglich ist das Leben vorauszuplanen.
Es lohnt sich zu leben, weil es eine Familie gibt die dich liebt.
Es lohnt sich zu leben, weil es immer Hoffnung für die wahre Liebe gibt.
Es lohnt sich zu leben, weil es immer etwas zum Lernen gibt.
Es lohnt sich zu leben, weil es immer Belohnungen gibt.
Es lohnt sich zu leben, weil es so viele Abenteuer zu entdecken gibt.
Es lohnt sich zu leben, weil es immer weiter geht.
Es lohnt sich zu leben, weil es immer wieder Neues zum ausprobieren gibt.
Es lohnt sich zu leben, weil es Freunde gibt, denen man viel bedeutest.
Es lohnt sich zu leben, weil es jemanden gibt, den du liebst.

Wofür es sich zu leben lohntWhere stories live. Discover now