Kapitel 13: Abstand

6 0 1
                                    


Wörter: 1071


Als er am nächsten Morgen aufwachte, lag Dan nach wie vor in Phils Armen. Unbewusst schlich sich ein Lächeln in sein Gesicht. Vorsichtig drehte er sich um, damit er sehen konnte, ob der Schwarzhaarige schon wach war. Dieser öffnete gerade seine Augen; zuerst war es ein herzlicher Blick, jedoch wich diese Emotion sofort einem Ausdruck der Angst.

"Hey, was ist los?"

"Ich, also... Irgendwie hab ich Angst, dir damit zu nahe zu kommen... Mit der Umarmung", stammelte Phil panisch.

"Ich hab' doch gestern schon gesagt, dass es mir nichts ausmacht. Es hat mich sogar beruhigt"

"Was? Wirklich? Oh, okay.. Ähm, wenn du willst, können wir schon mal frühstücken. Mein Vater ist ein Frühaufsteher, also macht er auch schon ziemlich früh Frühstück"

"Ja, etwas zu essen wär nicht schlecht"


Kaum waren sie mit dem Essen fertig, stand auch schon Mrs Howell in der Tür.

"Ach, ihr seid auch schon wach? Sehr schön, dann zieh dich an und komm dann raus, Dan"

"Ja Ja, keine Sorge, ich mach' ja schon", antwortete Dan genervt.

Wenig später stand er draußen und wartete auf seine Mutter. Typisch. Er sollte sich beeilen, und er dann bereit war, fehlte von seiner Mutter jede Spur.

"Ah, da bist du ja! Sehr schön, dann steig' ein, wir holen jetzt noch die restlichen Möbel", sagte da Mrs Howell, die plötzlich vor ihrem Sohn stand.

"Juhu", gab Dan ironisch von sich und stieg ins Auto.

Es dauerte tatsächlich nicht allzu lange und schon bald trugen Dan, Phil, sein Vater und Mrs Howell die einzelnen Möbelstücke ins Haus.

"Na Dan, wie war die erste Nacht hier? Fühlst du dich schon zuhause?", ertönte hinter Dan eine Stimme.

"Ja, so halbwegs. Danke der Nachfrage, Robert"

"Freut mich. Phil hat schon oft von dir erzählt, daher bin ich mir sicher, dass ihr prima miteinander auskommen werdet. Natürlich wart ihr schon seit längerem befreundet, aber jetzt seid ihr ja Brüder"

Unauffällig sah Dan neben sich; Phil schaute auf den Boden, biss sich auf die Unterlippe.

"So, das wär' dann alles, glaub' ich", sagte er dann, den Blick noch immer nach unten gerichtet.


Als Dan abends in seinem neuen Zimmer in seinem Bett lag, starrte er nur an die Decke. Den ganzen Tag über war Phil mal wieder komisch gewesen. Nicht wirklich aggressiv, aber ziemlich zurückhaltend und auch genervt. Was hatte er nur schon wieder? Wahrscheinlich musste er sich einfach noch an die neue Situation gewöhnen. Hoffentlich. Dan hatte wirklich keine Lust, noch einmal so ein Theater mitzumachen, wie damals, als er mit Louise zusammen gewesen war...

Die Tage vergingen und es hatte sich nichts geändert. Im Gegenteil: Phil redete kaum mehr ein Wort und saß in der Mittagspause nicht mehr bei seinen Freunden.

Ihre 'Eltern' schien das nicht zu interessieren, die dachten nur an sich selbst.

"Na Jungs, wie war die Schule?", erkundigte sich Mr Lester beim gemeinsamen Abendessen.

"Schule eben, nichts Besonderes heute"

Phil sagte natürlich mal wieder nichts. Aber das schien niemand der Erwachsenen wahrzunehmen.

"Also, wir haben Neuigkeiten: Da wir beide die nächsten zwei Wochen frei haben, werden wir in den Urlaub fliegen. Allerdings dachten wir uns, dass wir uns mal ein bisschen Zeit zu zweit gönnen. Außerdem seid ihr, denk' ich, alt genug, um mal ein paar Tage auf euch selbst aufpassen zu können", verkündete Mrs Howell freudestrahlend.

Was?! Eigentlich hatte Dan kein Stück etwas dagegen, wenn die Erwachsenen aus dem Haus waren, aber mit Phils Laune würde es alles andere als einfach werden.

"Ja... Das wird kein Problem", brachte er so normal wie möglich hervor. Wie sollte er nur in dieser Zeit zurechtkommen?

"Sehr schön. Ich wusste doch, wir können auf euch zählen", freute sich Mr Lester.

Dan zwang sich ein Lächeln auf die Lippen.


"So, das Taxi wartet schon! Passt auf euch auf und geht sparsam mit dem Geld um", verabschiedete sich Mr Lester.

"Werden wir, Dad. Keine Sorge"

Einer der seltenen Momente, in denen Phil redete. Wow.

Zack - schon war die Haustür zu und die beiden Jungs waren alleine. Doch damit die Situation nicht sofort peinlich wurde, verschwand Phil in sein Zimmer - natürlich, ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen. Na das konnte ja heiter werden...


Die ersten Tage vergingen ruhig; die Jungs redeten nach wie vor kaum ein Wort miteinander. Doch irgendwann hielt es Dan nicht mehr aus: Es war früh am Abend, die beide waren noch nicht lange von der Schule zurück. Nach einigen Überlegungen klopfte Dan an Phils Zimmertür.

"Mh?"

"Kann ich mal 'nen Moment reinkommen?"

Schweigen.

Dann:

"Von mir aus"

Vorsichtig drückte der Braunhaarige die Klinke hinunter und trat ein. Unsicher, ob er sich einfach setzten sollte oder nicht, blieb er mitten im Raum stehen.

"Hey, ich äh... Weißt du, ich kann mich auch immer noch nicht wirklich mit dieser Situation anfreunden, aber dass du kaum mehr redest und allen aus dem Weg gehst, macht die Sache nicht gerade besser"

"Und was soll ich deiner Meinung mach stattdessen machen? Freudig durch die Gegend hüpfen? Dauergrinsen?"

"Nein, natürlich nicht. Aber es wäre schon mal ganz schön, wenn du wieder mehr reden würdest."

"Wozu denn? Meine Gedanken sind sowieso lauter"

"Hey, wenn du jemanden zum Reden brauchst, gerade jetzt wo wir so was wie Geschwister sind - "

"Ich brauch' keinen verdammten Therapeuten, klar?! Das was ich brauch' ist Abstand!", schnaubte der Schwarzhaarige.

"Schon gut", murmelte Dan nur und ging wieder in sein eigenes Zimmer. Was war nur los mit Phil? Jedes Mal, wenn irgendetwas  nicht mit ihm stimmte, benahm er sich verdammt seltsam. Warum nur?

Ob die beiden Male wohl irgendwie zusammenhingen? Naja, im Prinzip ja, schließlich ging es beim ersten Mal darum, dass seine Mutter abgehauen war und jetzt hatte sein Vater schon wieder eine Neue. Klar, verstehen konnte Dan ihn schon, er fand es ja selbst total seltsam, wie das alles ablief. Aber die Tatsache, dass Phil jedes Mal so extrem reagierte, konnte er nicht nachvollziehen. Was sollte das auch bringen?

Mit einem Seufzer stand der Braunhaarige auf und lief zuerst in die Küche, aß eine Kleinigkeit zu Abend und ging anschließend ins Bad, um sich bettfertig zu machen. Irgendwie hatte er keine Lust mehr, heute noch irgendetwas zu machen. Also konnte er auch mal früher ins Bett gehen.

Und während er schlief, träumte er von einem großen, schwarzhaarigen Jungen mit himmelsblauen Augen. Er war mit ihm an einem See, der ein wenig versteckt lag. Und er hätte schwören können, außerhalb der Traumwelt schon einmal an diesem Ort gewesen zu sein...

...und vielleicht ist es ja doch ganz andersWhere stories live. Discover now