Kapitel 7

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In diesem Moment fühle ich mich frei, als würde ich schweben. Wir haben gewonnen. Wir sind Weltmeister und ich habe das Tor geschossen. Alle freuen sich. Vergessen ist Schmerz der letzten Zeit. Ich lasse mich treiben auf den Jubelwellen. Wir haben Marcos Trikot dabei. Hauptsächlich trage ich es, schließlich war ich sein bester Freund, aber irgendwie macht es mir nichts aus. Ich war glücklich gewonnen zu haben, den Pokal zu haben und dann auch noch wenigstens einen Teil von Marco bei mir zu haben. In dieser Nacht trinke ich viel. Zu viel. Und auch in Deutschland geht die Party weiter.
Bis dann irgendwann der Alltag einkehrt. Ich gehe zum Training, fahre mit zu den Spielen, aber sondere mich immer weiter ab. Ich kann die gute Stimmung der anderen nicht ertragen. Ich höre dann immer Musik und blocke Gespräche ab. Die anderen nervt es natürlich, aber Philipp bekommt die Situation zum Glück immer geregelt. Ich fing an mich zu ritzen, der körperliche Schmerz lenkt mich von meinem seelischen ab. Diese winzigen Verschnaufpausen sind zu einem festen Bestandteil meines Lebens geworden. Genau wie der Schmerz den Marco mir zugefügt hatte und immer noch zufügt, wenn ich mal wieder was über ihn und seinen neuen besten Freund Auba lesen darf.
Nur einmal war Phillip nicht bein Training. Er musste anscheinend was klären, wollte mich aber nach dem Training abholen. Ich hatte trotz hoher Temperaturen mal wieder als einziger langärmig trainiert. In der Kabine machten sich meine Teamkameraden mal wieder über mich lustig. "Friert der arme Mario immer noch oder willst du einfach nur Ritzsspuren verbergen?" Ich erbleicht, Franck hat unbewusst ins schwarze getroffen. Als wäre das nicht genug, schob mir Arjen blitzschnell die Ärmel hoch. Sie starren alle entsetzt auf die Narben. Mir steigen die Tränen in die Augen. Auf dem Absatz drehe ich um und renne aus der Kabine. Ich höre noch wie sie mir hinterher rufen, dass ich stehen bleiben soll, aber ich kann nicht. In mir zerbricht alles. Ich stürze in das nächste Klo und schließe ab, nur um dann meine Klinge rauszuholen. Der Schnitt tut gut. Es ist als würde er den Schmerz einfach aus mir rausfließen lassen. Ich lasse mich auf den Boden sinken und beobachte das Blut. Ich schrecke hoch, als die Tür aufgebrochen steht und ein entsetzter Philipp vor mir steht. Hinter ihm stehen Robert und Manuel. Philipp beginnt sofort mein Handgelenk einzubinden. Er schweigt die ganze Zeit und auch ich bin nicht fähig auch nur ein Wort rauszubringen. Als er fertig ist, stehen wir auf und ich folge ihm zu seinem Auto. Auch Manuel und Robert folgen uns, als hätten sie Angst, dass ich abhauen würde. Zugegeben, am liebsten würde ich das, aber es hätte ja eh keinen Sinn. Das Schweigen herrscht auch noch, als wir und alle in Philipps Auto gequetscht auf dem Weg zu meiner Wohnung befinden. Dort angekommen öffne ich schon den Mund um mich zu verabschieden, werde aber von Philipp harsch unterbrochen: "Glaub ja nicht, dass wir dich jetzt alleine lassen. Und jetzt mach die verdammte Tür auf, dass wir rein können. Für irgendwelche Zickereien habe ich gerade keinen Nerv." Seufzend öffne ich die Tür und laufe einfach ohne auf die anderen zu achten in mein Schlafzimmer, wo ich mich immer noch im Trainingszeug in mein Bett verkrieche und einfach nur alleine sein möchte um mich selbst zu bemitleiden. Von draußen höre ich meine 'Gäste' diskutieren. Jedoch kann ich nur Wortfetzten wie "müssen was unternehmen" "ist unsere einzige Möglichkeit" "frage die beiden" "nächste Zeit hier bleiben" verstehen, bis ich entkräftet von meinem Blutverlust und den Geschehnissen in den Schlaf sinke.

Wie konnte es so weit kommen?Where stories live. Discover now