zu Hause ✅

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Als ich spät Nachmittag wieder zurück in meiner Wohnung bin, ist Harry nicht da. Augenblicklich mache ich mir sorgen um ihn, da er mir auch keine Nachricht hinterlassen hat. Nachdem ich nocheinmal im Schlafzimmer und im Badezimmer nachgesehen habe, schnappe ich mir erneut meine Handtasche und Harrys Ersatzschlüssel. Er meinte, wenn ich ihm mit meinem Haustürschlüssel vertraue, tut er das selbe mit seinem.

In der Hoffnung, dass er einfach nur zu sich nach Hause ist um Sachen zu holen, gehe ich mit schnellen Schritten zu der Siedlung, hinter der er wohnt. Die Gassen sehen in der Dämmerung noch uneinladender aus, als sie eh schon tun und automatisch verschnellere ich meinen Gang. Ich sehe an der Fassade auf und ab und als ich bei einem Fenster, dass zu Harrys Wohnzimmer gehören müsste, Licht brennen sehe, atme ich erleichtert auf. Da er jedoch auf meine anrufe, welche ich auf dem Weg hier hin getätigt habe, nicht reagiert hat, Laufe ich die knarrende Holztreppe nach oben und schließe mit zitternden Händen seine Wohnungtür auf.

Der Geruch, der mir so bekannt und heimisch vorkommt, erreicht mich als ich die Tür hinter mir schließe. Ein Lachen hallt durch die Wohnung, aber es ist nicht Harrys. Es ist das Lachen einer Frau und augenblicklich bildet sich ein Knoten in meiner Brust. Ich will eigentlich gar nicht wissen, wer da mit ihm sitzt und als ich ihn dann auch noch lachen höre, in einer Weise wie er noch nie gelacht hat, als er in meiner nähe war, würde ich am liebsten umdrehen, gehen und so tun als wäre ich nie da gewesen.

Trotzallem, stehe ich Sekunden später im Türrahmen, des Wohnzimmers. Harry sitzt mit dem Rücken zu mir, die Frau sieht mir direkt ins Gesicht. Zuerst sieht sie mich verwirrt an, lächelt aber dann.

Ich presse meine Zähne aufeinander, spüre die Wut in mir hochkommen. Harry, der wohl bemerkt hat, dass sein Gast abgelenkt ist, dreht sich jetzt in keine Richtung, fängt direkt an zu lächeln als er mich sieht.

"Meggie.", sagt er glücklich, seine Stimme höher als üblich. Er winkt mich zu sich, klopft auf den Platz neben sich, bevor ich zögernd zu ihm gehe. Ich lasse meinen Blick nicht von der schwarzhaarigen Frau, die mich noch immer anlächelt.

"Hi, ich bin Ella und bist wohl Harrys Freundin?", sie hält mir ihre Hand freundlich entgegen und ich habe das Gefühl mich übergeben zu müssen.

"Megan.", sage ich kurz, schüttele ihr die Hand und setze mich aufrecht hin. "Ella ist die Frau, von der du mir die Karte gegeben hast, erinnerst du dich?", fragt Harry neben mir und am liebsten würde ich loslachen.

Sie ist also die, mit der gleichen Krankheit, wenn es denn eine ist, die Harry auch hat.

Sie ist die, die ihn versteht und ihm helfen kann und ich bin die, die sie hier angeschleppt hat.

Aber das aller schlimmste ist, dass sie so wie sie hier sitzt zu sympathisch und nett rüberkommt, als dass ich sie nicht mögen könnte. Auf ihre Frage, ob ich Harrys Freundin bin, gehe ich nicht weiter ein, immerhin haben Harry und ich nicht mehr darüber gesprochen, was das zwischen uns denn jetzt ist, weiß er noch über was wir gesprochen haben? Und ich weis auch nicht, was er ihr erzählt hat.

Ich spüre, wie er seinen Arm hinter meinem Rücken platziert, seine Hand an meiner Hüfte ruhen lässt. Automatisch rutsche ich näher an seine Seite, umgreife seine andere Hand und spiele mit dem Armband um sein Handgelenk. Einerseits, einfach weil ich bei ihm sein will, ihm nahe sein will, aber auch um Ella klar zu machen, dass Harry mir gehört und sie die Finger von ihm lassen soll.

"Und über was habt ihr so geredet?", hake ich nach, will nicht desinteressiert wirken. "Über alltägliches. Wir sind zum Beispiel gar nicht so weit weg voneinander aufgewachsen.", erzählt sie, Harry nickt nur. "Echt? Das ist ja toll.", tue ich begeistert, will aber eigentlich nur, dass sie ihr Sachen nimmt und verschwindet, weil ich mit Harry alleine sein will. Ich ziehe meine Beine an, welche an Harrys Oberschenkel gelehnt liegen. Er hebt seine Hand an und streicht mir durch die Haare.

"Und auch über den Gedächtnisverlust, wie er damit klarkommt.", spricht sie weiter und ich werde hellhörig. "Ella sagt, dass sie sich teilweise wieder an Dinge erinnert, Kleinigkeiten die sie an Tagen gemacht hat, und auch an ihren Freund.", ergänzt jetzt Harry und grinst mich an. Dieses mal ist Ella die, die zustimmend nickt. Als die beiden jedoch weiter reden und sie über ihren Alltag berichtet, Klinke ich mich aus. Ich kann Harrys Herzschlag hören und jede Stelle kribbelt, an der er mich berührt.

Dass Ella gegangen ist, bemerkte ich erst als die Wohnungstür zufällt und Harry kurze Zeit später eine Decke über mich legt. All meine Gedanken über Harry, wie unsere Zukunft aussehen könnte, ob es überhaupt eine geben wird, ob er sich irgendwann auch an mich erinnern kann und ob ich ihm sagen soll, dass ich irgendwelche undefinierbaren Gefühle für ihn habe, haben mich müde gemacht.

Ja ich habe Gefühle für Harry. Ich bin nicht an diesem Punkt, an dem ich sagen kann, dass ich ihn liebe aber ich weis zu einhundert Prozent, dass wenn was auch immer zwischen uns ist, so weiter läuft, ich irgendwann sagen kann, dass ich ihn liebe. Es sagt doch schon etwas aus, wenn ich sage, dass ich mir sorgen um ihn mache und ihn am liebsten ständig bei mir hätte und auch, dass ich es nicht sehen kann und will, wenn eine andere Frau in seiner Nähe ist. Mag sein, dass sie einen Freund hat, doch  das hat noch niemand aufgehalten.

Ich will Harry für mich haben, ich will, dass ich diejenige bin, zu der er kommt wenn er Hilfe braucht oder Probleme hat und dass er mich anruft, wenn er schmerzen hat oder einfach nur reden will.

Ich will diejenige sein, die er sein zu Hause nennt, denn ja, Harry fühlt sich verdammt nach zu Hause an.

Paranormal | H.S. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt