Kapitel 9

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Run - Emma Bale (Lost Frequencies Remix)

Ich verbrachte die gefühlt halbe Ewigkeit, die es dauerte bis jedes Mädchen mit dem Umstyling fertig war, damit auf dem gemütlich weichen Sofa zu sitzen und nervös auf meiner Lippe herumzukauen. Das hatte zur Folge, dass mein leicht schimmernder Lippenstift etwas an Farbe verlor. Ab und zu huschte mein Blick über die anderen Mädchen. Sie sahen alle umwerfend aus, jede von ihnen hatte eine ganz andere Art von Schönheit und Eleganz an sich. Ich musste wirklich auffällig unauffällig aussehen in dieser Gruppe.

"So meine Lieben." Aurora kam, wie immer klatschend, auf uns zu. "Wir sind zwar etwas spät dran, aber ich werde euch jetzt dennoch eine kleine Führung durch den Palast geben und euch anschließend zu euren Zimmern begleiten. Danach habt ihr ein bisschen Zeit für euch."

Obwohl ich glücklich über den ganzen Trubel hier war, der mich vergessen ließ, wie sehr ich Mum und Adira vermisste, freute ich mich über die Aussicht auf etwas Privatsphäre.

Fast gleichzeitig und ohne auch nur einen Moment zu zögern sprangen wir alle vom Sofa auf und folgten Auroras raschen Schritten. Tatsächlich hielt sie sich mit der Führung sehr knapp. Viel zu knapp dafür, dass der Palast so riesig war. Am Ende der Führung hatte ich bereits so gut wie alles vergessen. Das Einzige was mir im Kopf blieb war der Fakt, dass wir nicht ohne Erlaubnis in den Garten durften und dass das dritte Stockwerk für uns ein völliges Tabu war.

Mein Zimmer befand sich am Ende des zweiten Stockes. Da für jedes Mädchen ein eigenes Zimmer vorgesehen war, gab es auch dementsprechend viele Zimmer und es gab Unmengen von Fluren. Es war vorhersehbar, dass ich mich nicht nur einmal hier verlaufen würde.

Nachdem Aurora mir und den anderen drei Mädchen, die ihre Zimmer ebenfalls in diesem Abteil hatten, mitgeteilt hatte, dass wir uns vor dem Abendessen noch einmal im Frauensaal, in dem wir auch frisch gemacht worden waren, versammeln sollten, um eine besondere Sendung des Illéa Capital Report zu drehen, verschwand sie.

Zögerlich wand ich mich der großen Tür vor mir zu und stieß sie langsam auf.

Eine Sekunde lang hielt ich die Luft an.

Noch nie zuvor hatte ich einen so schönen Raum gesehen. Vielleicht lag es an den großen Fenstern, die eine der vier Wände komplett ersetzten und den Raum mit hellen Lichtstrahlen durchfluteten. Vielleicht lag es daran, dass ich einfach zu müde war um kritisch zu sein. Vermutlich aber lag es daran, dass einfach alles hier so prächtig war. Schließlich war es auch der Palast.

"Herzlich Willkommen!" erst jetzt bemerkte ich die drei Frauen, die im Raum standen. Waren das etwa meine Zofen? "Mein Name ist Amelia, und die beiden hier sind Gabriella und Lucia."

Die drei sahen sich unglaublich ähnlich, denn sie trugen alle den gleichen, streng gebundenen Pferdeschwanz und die gleiche schwarze Uniform. Amelia schien die Älteste aus dem Trio zu sein, in ihrem Gesicht konnte ich leichte Falten erkennen. Die anderen beiden waren vermutlich jünger als ich.

"Dankeschön." ich konnte ein Gähnen nicht unterdrücken. Für einen Moment fühlte ich mich schrecklich müde und erschöpft. Ich wollte mich nur noch in das wahnsinnig einladende Bett legen und einschlafen, doch dann fiel mir ein, dass es im Palast eine Bibliothek geben sollte.

Eine Bibliothek.

Schon als Kind hatte ich wahnsinnig gerne gelesen, besonders die ganz alten Bücher. Stolz und Vorurteil, Sturmhöhe, Jane Eyre - ich kannte sie alle, obwohl sie schon einige Jahrhunderte alt waren. Für mich waren sie zeitlos.

Damals hatte Dad mir die Bücher immer aus der Stadtbücherei mitgebracht. Jeden Freitag ein Neues. Meistens las ich dann das Wochenende durch und brauchte am Montag schon ein neues Buch, doch Dad hielt sich fast immer an die Regeln.

Selection: Die HoffnungWhere stories live. Discover now