Scham

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"Da haben sich ja wirklich zwei gefunden." eine spöttende Stimme, die nur zu Ilaria passt.
Ich seufze. Oft lasse ich solche Kommentare links liegen, aber sie nerven mich, ehrlich gesagt, ziemlich.
Eijun steckt seine Hände in die Jackentasche und lehnt sich mit dem Rücken gegen die Schulgebäudenwand. Emotionslos, wie fast immer, schaut er sie an.
Ilaria holt ein Französischbuch aus ihrer Tasche und hebt es ihm hin.
"Da. Das Sekretariat hat mittags zu. Das soll ich dir geben."
Er nimmt es entgegen und steckt es in seinen Rucksack.
"Danke. Ganz reizend von dir."
Ich bemerke, wie sie etwas die Augen verdreht.
Ich seh' schon. Eijun und Ilaria werden die besten Freunde.
"Du kannst jetzt wieder gehen, ehrlich." meint Eijun.
Ich kann mir nur mühsam ein Grinsen verkneifen, aber es muss wohl um meine Mundwinkel gezuckt haben, denn sie entgegnet mir schnippisch: "Jetzt bilde dir bloß nichts darauf ein! Nur weil du jemanden gefunden hast, der eine größeres Mundwerk als du hat und das dir somit oft den Arsch retten wird."
Und genau auf so was finde ich nie eine passende, schlagfertige Antwort. Das regt mich jedes Mal auf! Nur zeige ich es nicht, sondern schweige einfach nur. Wie immer.
"Komm' auf den Boden, Püppchen und kümmer' dich um deinen eigenen Kram." sagt Eijun.
Ilaria ist natürlich sofort eingeschnappt und verschrenkt ihre Arme vor der Brust.
"Von dir lasse ich mir gar nichts sagen! Das nächste Mal, kannst du dein Buch schön selber abholen!" zischt sie.
Er verdreht bloß gelangweilt die Augen und steht auf, da der Unterricht gleich beginnt.
"Na? Hast du noch jemanden gefunden, auf dem du rumhacken kannst, weil du dich von deinen eigenen Problemen ablenken willst?" keife ich.
Oh Gott. Kam das gerade wirklich von mir?
Beide schauen mich an und ich meide deren Blicke, indem ich auf den Boden sehe. Ich bin für so etwas echt nicht geschaffen.
"Aaajou..." Ihre hohe Stimme.
Ich schaue auf.
Grinsend sieht Eijun auf mich herab. Doch das Grinsen verwandelt sich in ein Lachen.
Ein fröhliches Lachen. So eines habe ich noch nie gesehen. Es scheint besonders, weil er anscheinend nicht viele Emotionen anderen zeigt.
Wenn ich mich nicht täusche, ist Ilaria sogar etwas rot geworden und hat weggeschaut.
Ich kaue auf meiner Lippe herum. Auch wenn es ein schönes Lachen ist, kommt es mir so vor, als wäre er gerade gegen mich. So, wie er gerade mit unserer Mitschülerin da steht und beide auf mich herab schauen. Und weswegen lacht er überhaupt? Lacht er mich aus? Lacht er über meinen dummen Spruch?
Da sieht man mal, ich sollte wirklich meinen Mund halten, sonst kommt nur Müll raus.
Und so sehr ich mich auch bemühe, ich schaffe es nicht aufzustehen. Ich bin wie angekettet.
Und die Ketten sind Scham. Ich schäme mich zu oft für mich selbst. Ich wollte cool sein und genau so eine schlagfertige Antwort wie Eijun abgeben und dabei gelassen bleiben, als würde mich alles kalt lassen.
Eine Hand umfasst mein Handgelenk und zieht mich von der Bank hoch.
Diese gehört eindeutig zu Eijun.
Als ich auf den Beinen stehe, klopft er mir kurz auf den Rücken und grinst: "Na komm, wir kleinen Streber wollen ja nicht den Unterricht verpassen."
Mit diesen Worten lassen wir Ilaria auf dem Pausenhof stehen und gehen in unser Klassenzimmer.

Der AustauschschülerWhere stories live. Discover now