Der zweite Streber

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Alle starren den neuen Schüler an.
Doch er schaut bloß gleichgültig durch die Klasse.
"Kann ich mich da hinsetzen?" fragt er, während er seinen Blick der Lehrerin widmet. Sie schaut mich an und ich nicke stumm.
Eijun geht auf mich zu und ich nehme schon mal meinen Rucksack von dem freien Stuhl neben mir.
Ich schaue ihn an, als er sich wortlos neben mich setzt.
Doch er würdigt mir keinen Blick.
Vielleicht ist er ja schüchtern? Das ist ja eine ganz neue Umgebung hier für ihn.
"Hi, ich bin Ajou." flüstere ich, um Frau Stehr nicht zu stören, die schon anfing ein paar französische Vokabeln an die Tafel zu schreiben.
Eijun dreht seinen Kopf zu mir.
"Meinen Namen kennst du schon."
Ich blicke gerade aus.
Du mich auch.
Innerlich schüttel ich meinen Kopf und schlage mein Vokabelheft auf.
Gelangweilt schreibe ich alle Vokabeln ab. Der Französischunterricht ist jedes Mal so langweilig.
Ich hoffe einfach nur, dass Eijun ruhig bleiben und nicht stören wird.
Die Oberstufe soll für mich glatt verlaufen.
"Entschuldigen Sie mich bitte kurz. Machen Sie bitte während meiner Abwesenheit die Aufgaben 3 und 4 auf Seite 63 im Buch."
Mit diesen Worten verlässt die Lehrerin den Raum.
Kaum fällt die Tür ins Schloss, drehen sich alle Jugendlichen zueinander und reden.
Ich schaue mich um.
Alles wie immer.
Keiner hat auch nur das Buch angefasst.
Langsam hole ich mein Buch aus meinem Rucksack und suche die von Frau Stehr aufgegebene Seite.
Der Blick von Eijun brennt quasi auf meiner Haut. Egal, wie sehr ich meine Haare auf meine rechte Gesichtshälfte schiebe, ich spüre seinen eindringlichen Blick.
Was will der von mir?!
Genervt schaue ich ihn an und frage: "Was ist?"
"Kann ich auch in dein Buch schauen? Mir wurde mir noch keins gegeben."
Oh. Ups. Vollkommen falsch die Situation eingeschätzt.
Ich schiebe das Buch in die Mitte unseres Tisches und murmle: "Sag' das doch gleich."
Ich bekomme nur noch ein leises "Danke" zu hören und wir beide beginnen mit den Aufgaben.
Ich bin so in die französischen Grammatikaufgaben vertieft, bis mich jemand mit einer schrillen Stimme aus den Gedanken reißt.
"EY AJOU! Haste jetzt endlich 'nen Partner-Streber gefunden?"
Angepisst schaue ich Ilaria an.
Andere Schüler lachen und ein zweites Mädchen stimmt Ilaria zu.
Sie grinst mich bloß blöd an.
Ich merke, wie Eijun den Kopf hebt und zu ihr schaut.
"Ja. Jetzt muss er sich nicht mehr mit so hohlen Tussen wie euch abgeben." gab er gelassen von sich.
Ohne auf eine Antwort zu warten, macht er wieder die Aufgaben.
Aber er hat recht. Mit den Mädchen aus unserer Klasse kann man echt nichts anfangen. Und die Jungs sind auch nicht das Wahre.
Doch Ilaria und ein paar andere sind über Eijuns Spruch empört. Ein paar Jungs lachen kurz.
"Du erlaubst dir ja ganz schön viel, Neuer!" zischt sie ihn an.
Mein neuer Nebensitzer ignoriert sie gekonnt.
Sie springt von dem Tisch, auf dem sie gerade noch saß und marschiert auf ihn zu.
"Hör ma-"
Die Tür geht auf. Ich hebe meinen Blick und sehe in Frau Stehrs Gesicht.
"Was ist das denn hier? Wie oft muss ich noch sagen, dass das euer Abitur ist und nicht meins? Lungert doch nicht so rum und tut was für euren Abschluss!"
Augenblicklich sitzen alle, außer Ilaria, auf deren regulären Plätzen und blättern im Buch herum.
"Da bin ich aber froh, dass Eijun auch so fleißig wie Ajou ist. Da haben sich zwei gefunden!" sagt Frau Stehr.
Oh Gott. Musste das jetzt sein? Ich verdecke mein Gesicht mit meinen Haaren.
"Was glauben Sie, warum ich der Austauschschüler bin und nicht irgendjemand anderes?"
Ich grinse. Hinter Eijuns stillem Gemüt stecken freche Sprüche.
Die Lehrerin lässt das so stehen und schaut Ilaria an, die sich jetzt erst an ihren Platz setzt.
Frau Stehr notiert etwas ins Klassenbuch und die einzigen Geräusche in dem Raum sind die Kullis auf den Blöcken.

Der AustauschschülerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt