"Ich hab dich gesehen wie du in die Bahn die zurück fährt eingestiegen bist.", widerspreche ich ihm und dieses Mal bin ich es, die die Arme vor der Brust verschränkt.

"Okay Okay ich wollte dich nicht mit diesem Typen alleine weiter fahren lassen.", gibt er dann zu und auf diese Antwort war ich nicht vorbereitet?

Hat er sich auf irgendeine Art Sorgen gemacht? Ohne irgendein weiteres Wort, weder von ihm noch von mir, dreht er sich um und geht. Ich stehe noch immer an der gleichen Stelle und sehe ihm nach. Was ist los mit ihm?

Mit komplett verwirrten Gedanken mache ich mich auf den Weg zu meiner Wohnung. Laut der Werkstatt würde mein Auto erst Ende der Woche fertig sein, das heißt für mich, noch eine Woche Bahn fahren.

Gerade als ich mich daran mache, mir etwas zu Essen zu suchen klingelt mein Handy und zeigt das Bild meiner Mutter an. Seufzend nehme ich ab und bereite mich schon einmal mental auf die bevorstehende Standpauke vor. Aber anstatt Geschrei und Vorwürfen erfüllt nur ihr Schluchzen die Leitung.

"Mum, was ist passiert?", ich will es eigentlich gar nicht wissen und doch frage ich nach, aus reiner Höflichkeit. Seit sie mich vor ein paar Jahren rausgeworfen hat ist unsere Beziehung nicht mehr so gut aber trotzdem kann ich es nicht ignorieren wenn sie mich anruft und weint.

"Ben hatte einen Autounfall.", bringt sie zwischen ihren Schluchzern hervor und am liebsten würde ich direkt wieder auflegen. Ben ist der neue Mann meiner Mutter, der Hauptgrund wieso unser Verhältnis immer schlechter wurde.

"Was ist mit ihm?", es ist ein Zeichen von Anstand, nachzufragen, nicht weil ich will, eher weil ich es muss. "Er ist tot.", höre ich noch und lege auf.

Meine gute Erziehung ist von einer Sekunde zur nächsten verschwunden und ich spüre nur noch Wut in mir. Wut auf Ben, Wut auf meine Mutter und Wut auf Harold. Meine Mutter hat die letzten vier Jahre vielleicht drei Mal angerufen ohne mich anzuschreien. Wenn wir uns gesehen haben dann auch nur wegen meinem Bruder und auch dann konnte sie nicht aufhören mir Vorwürfe zu machen. Und an allem ist Ben schuld. Er hat ihr immer wieder eingeredet ich wäre zu nichts zu gebrauchen, ich wäre nervig und würde ihr nur auf der Tasche liegen. Er ist ebenfalls der Grund wieso meine Mutter mich rausgeworfen hat. Angeblich habe ich Geld aus der Familienkasse gestohlen und Ben hatte mich anscheinend irgendwo gesehen als ich mit meinen nichts nützigen Freunden Drogen genommen habe. Und obwohl das alles nicht einmal annähernd der Wahrheit entsprach, hat sie ihm geglaubt und mich vor die Tür gesetzt.

Mein Bruder war zu der Zeit 3 und war sowieso sein Liebling. Gott weiß warum. Und jetzt, da Ben nicht mehr da ist kommt sie bei mir an. Als würde ich ihr jetzt zur Seite stehen. Vielleicht sollte ich das, immerhin bin ich ihre Tochter aber sie ist für mich keine Mutter mehr. Ihre darauffolgenden Anrufe ignoriere ich gekonnt und mache mich daran mein Essen aufzuwärmen. Mit meinem Teller und einer Tasse Tee setze ich mich auf mein Sofa und scrolle durch meine Neuigkeiten.

Als es klingelt habe ich schon die Befürchtung, dass meine Mutter vor der Tür stehen könnte, als ich sie allerdings öffne steht mein Dad mit meinem, in Tränen aufgelöstem Bruder vor der Tür.

Als dieser mich sieht stürmt er direkt auf mich zu und umklammert mich mit seinen Armen. "Noah, was ist los?", ich gehe in die Hocke und lege meine Arme ebenfalls um den zitternden Körper meines Bruders.

"Eure Mutter hat ihn für Bens Tod verantwortlich gemacht und ihn angeschrien.", antwortet mein Vater für ihn mit einem besorgtem Gesichtsausdruck. Auch nach der Scheidung meiner Eltern hatte ich ein guten Verhältnis mit ihm.

Er war es auch der mich die ersten Jahre bei sich aufgenommen hat, bis ich alt genug war in eine eigene Wohnung zu ziehen.

"Er hat mich angerufen und ich würde ihn auch zu mir nehmen aber wir haben zurzeit einen riesen Stress in der Firma und ich will ihn damit nicht belasten. Ich wäre kaum zu Hause.", redet er weiter, während Noah mich noch immer fest umklammert.

"Wir zwei bekommen das schon hin, oder kleiner?", ich drücke meinen Bruder etwas von mir und streiche ihm die langen Haare aus dem Gesicht. Auf dessen Lippen schleicht sich ein breites Grinsen und er nickt heftig.

Ich stehe wieder auf und lasse mich in die Arme meines Vaters fallen, der seine Arme ausbreitet.

"Ich werde dir extra Geld für Noah überweisen. Ich will nicht, dass ihr denkt ich würde ihn abschieben aber ich denke fürs Erste ist es besser wenn er hier bei dir ist.", murmelt er in meine Haare und streicht über meinen Rücken.

"Ich weiß Dad, mach dir keine Sorgen.", er drückt mir einen Kuss auf die Wange, klopft Noah leicht auf die Schulter und wir verabschieden uns voneinander.

"Hast du Hunger?", frage ich den blond haarigen neben mir der mich grinsend anstrahlt und nickt. "Dann ab in die Küche.", ich nehme seine Tasche vom Boden und schließe die Tür hinter uns. Noah sitzt schon auf einem der Stühle in der Küche und wackelt mit den Beinen. Als er mich sieht, rutscht er vom Stuhl und geht mit gesenktem Kopf auf mich zu. "Ich hab dich lieb Meg.", murmelt er und lehnt sich erneut an meine Beine.

Paranormal | H.S. Where stories live. Discover now