2 | Von Heimweh, WG-Angeboten und blutsaugenden Insekten ✔

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Erledigt von dem langen Tag lasse ich mich aufs Bett plumpsen und beschließe meine Eltern anzurufen. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass es bei ihnen selbst mit einer Stunde Zeitverschiebung noch früh genug zum Telefonieren ist. Nach dem zweiten Mal Klingeln wird abgehoben und Dads Stimme ertönt am anderen Ende der Leitung.

»Hey Schatz, schön von dir zu hören. Wie geht es dir? Du bist inzwischen in Dallas, oder?«

Beim Klang seiner Stimme kann ich nicht anders und muss seufzen. Eine Welle von Heimweh überrollt mich, doch ich versuche mich zusammenzureißen und es mir nicht anmerken zu lassen. »Hi Dad. Ja, genau, ich bin am Freitag in Dallas angekommen. Leider hat das Womo eine neue Macke. Die Klimaanlage funktioniert nicht mehr und deswegen werde ich momentan bei kuschligen 33 Grad gebraten.«

Ich höre, wie es am anderen Ende raschelt, als würde jemand versuchen ihm das Telefon abzuluchsen, und vernehme ein mehr oder weniger böses Murmeln meiner Mutter. »Jetzt stell doch endlich mal auf laut.«

»Jaja, ist ja gut. - Annie, deine Mutter hört jetzt mit.«

Ich lache bei der Vorstellung, wie meine Mutter dicht am Ohr meines Vaters klebt, um durch den Hörer doch noch ein paar Gesprächsfetzen aufzufangen. In dem halben Jahr, das ich nun schon unterwegs bin, hat sich nichts geändert.

Dad beansprucht das Telefon für sich alleine und irgendwann beschwert sich meine Mutter und versucht, es ihm aus der Hand zu nehmen. Erst dann ist er bereit, den Lautsprecher einzuschalten.

»Also, was ist jetzt? Wie gehts dir? Wie ist Dallas?«, bekomme ich die gleichen Fragen noch einmal von meiner Mutter gestellt.

»Mir geht es gut. Ich fühle mich ein wenig durchgekocht, weil die Klimaanlage meines Wohnmobils nicht funktioniert und es deshalb brütend heiß hier drin ist, aber ansonsten geht es mir gut«, wiederhole ich.

»Ich habe dir ja gesagt, du sollst nicht so ein altes Ding kaufen. Das macht nur Probleme«, schimpft meine Mutter auf der Stelle los. »Irgendwann ist es ganz kaputt. Und wie kommst du dann nach Hause?«

Ich seufze. Ja, sie hat es mir gesagt. Aber wenn ich dieses Wohnmobil nicht gekauft hätte, dann hätte ich noch länger sparen müssen und mein Roadtrip wäre in noch weitere Ferne gerückt. Und bis auf die zwei vorigen Pannen hat es mich doch weit gebracht. Es wird schon nicht kaputtgehen.

»Ach Liebling, Annie ist erwachsen. Sie weiß, worauf sie sich da eingelassen hat und wird das schon wieder hinbekommen«, höre ich, wie mein Vater mich verteidigt. Ich kann mir vorstellen, wie meine Mutter mit einem Augenrollen antwortet.

»Ja, das weiß ich. Dennoch wäre es klug gewesen, ein anderes Wohnmobil zu kaufen.« Von dieser Tatsache ist meine Mutter seit der ersten Panne überzeugt. Keine wildgewordene Kuhherde, die im Schweinsgalopp auf sie zurennt, könnte sie je von dieser Meinung abbringen. Auch nicht mein Vater.

»Ich weiß, aber jetzt ist es so, wie es ist. Daran kann ich nichts mehr ändern und werde deshalb damit klarkommen.«

»Siehst du, sie ist ein reife, junge Frau geworden, unsere Annie.«

Ich lächle in mich hinein und spüre, wie mein Heimweh stärker wird. Plötzlich ist mir gar nicht mehr nach Lächeln zumute. Plötzlich wünsche ich mir nichts mehr, als bei meinen Eltern zu Hause zu sein. Bis jetzt habe ich alle Pannen gut gemeistert, aber langsam habe ich keine Lust mehr. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals.

»Ich vermisse euch ganz schrecklich«, bricht es in der nächsten Sekunde aus mir heraus, aber meine Eltern merken nicht, wie sehr ich sie wirklich vermisse. Stattdessen kommt ein synchrones »Wir dich auch« von beiden. Dann übernimmt mein Vater wieder das Wort.

Linkshänder küssen besser ✔Where stories live. Discover now