7 | Verdammter Mist

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Losin Control - Russ

Gelangweilt schaute ich aus dem Fenster. Wir hatten Geschichte.
Ich hasste Geschichte.

Und das zurecht. Ich meine, wen interessierte der Mist über Leute, die bereits tot waren? Mich jedenfalls nicht. Allerdings waren die Geschichtslehrer anderer Meinung. Ich war nicht schlecht in diesem Fach, aber den Sinn des Unterrichts konnte ich nicht nachvollziehen, weil ich schlicht und ergreifend keinen fand.
Draußen hatte eine Klasse bei der schrecklichen Ms. Toaster Sport, was ich persönlich viel interessanter fand. Eigentlich hieß sie Ms. Seyler, aber da sie ihre Mitschüler sogar bei Plus 40 Grad Sport machen ließ und sich nicht darum scherte, ob es ihren Schülern gutging, nannten wir – die Kids auf der Lincoln Highschool – sie Ms. Toaster. Die besagte Klasse hatte offensichtlich Rugby. Und ich konnte nur vier Mädchen erkennen. Drei waren offensichtlich zu faul und das andere Mädchen spielte mit den Jungen. Wobei ich zugeben musste, dass ich sie zuerst nicht erkannt hatte, da sie so viel Körpereinsatz zeigte, wie die Jungen es nur machen konnten. Außerdem war sie gut. Sehr gut. Irgendetwas kam mir an ihr bekannt vor. Doch bevor ich meine Überlegungen vertiefen konnte, erklang der Schulgong.

*

Ich saß im Schneidersitz auf meinem Bett und stellte neue Bilder auf Tumblr hoch – unter anderem auch das Bild, was ich von Ryder gemacht hatte, als er seinen coolen Handstand vollführt hatte, während die Sonne hinter ihm untergegangen war – als ich den Möbelwagen hörte. Am Anfang nahm ich keine Notiz davon, doch als ich zur Küche gehen wollte, um ein Glas Multivitaminsaft zu trinken, schaute ich doch aus dem Fenster. Möbel wurden von einigen Leuten ins Nachbarhaus gebracht. Das Haus war seit ungefähr seit zwei Wochen unbewohnt. Der vorherige Besitzer, dessen Name Old Ben war – er hieß eigentlich nicht so, aber da ihn jeder so kannte und liebte, war er  für uns Old Ben – starb vor ungefähr zwei Wochen im Krankenhaus, da sein Krebs sich zu weit ausgebreitet hatte, wie meine Mutter mir damals berichtet hatte, nachdem ich von Zac nach Hause gekommen war. Wir – seine Nachbarn, Verwandten und andere Menschen, die er mit seinen abenteuerlichen Geschichten glücklich gemacht hatte – hatten um Old Ben getrauert. So einen witzigen, lebenslustigen Mann hatte die Stadt noch nie gesehen.

Dann passierte das, was mein Leben ab diesen Zeitpunkt drastisch veränderte:
Zwei Autos erschienen plötzlich. Eins war schwarz und groß, wahrscheinlich ein Range Rover, und das andere war ebenfalls schwarz, jedoch sportlicher.

»Mum, weißt du zufälligerweise wer nebenan einzieht?«, rief ich neugierig durchs Haus.

Mum erschien mit einem Star-Lächeln in meinem Zimmer.

»Ja, das habe ich dir bereits schon mal verraten, aber du hast mir nicht zugehört. Mal wieder. Es sind Old Bens Verwandten.«

Ich drehte mich abermals zum Fenster um.
»Woher kommen sie?«, fragte ich, wobei ich meinen Blick nicht vom Fenster wandte.

»Ich bin mir nicht sicher, aber ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass sie bereits vorher nach Portland gezogen waren – in ein anderes Haus. Ungefähr vor drei Wochen, um sich um Old Ben zu kümmern. Die Kinder sollten auch auf deiner Schule sein und ihren Abschluss machen.«

Vorher hergezogen. Abschluss machen.
Ich schluckte hart, denn mich beschlich ein ungutes Gefühl.

»Wie heißt die Familie?«

»Das sind die Hills.«

Okay, Ruhe bewahren, Zara. Es musste nicht heißen, dass er es tatsächlich war. Im Augenwinkel bemerkte ich, dass Mum ihre hyperventilierende Tochter im Stich ließ.

Die Wahrscheinlichkeit war gering. Es gab viele Leute, die mit Nachnamen Hill hießen ... glaubte ich.

Aber es besteht immer noch eine Chance.

Ich erinnerte mich an die Worte, die Ryder mir in der Schule gesagt hatte:

»Wie du meinst. Aber Ryder Hill kann man nicht hassen.«

Mist.

Eilig wählte ich Zacs Nummer. Ich wartete ungeduldig, da er den Anruf nicht entgegennahm. Schließlich gab ich es auf und warf mein Handy auf das Bett.
Ich tigerte durch mein Zimmer,  aber als ich draußen Stimmen wahrnahm, die immer lauter wurden, rannte ich zum Fenster und schaute hinaus. Gerade eben war eine stämmige Frau und ein großer, schlacksiger Mann aus dem Range Rover ausgestiegen und unterhielten sich mit den Männern, die die Möbel ins Haus brachten. Die Frau nickte energisch, legte sogar einmal ihren Kopf in den Nacken und lachte. Der Mann neben ihr, vermutlich ihr Ehemann, lächelte zurückhaltend. Also wenn das Ryders Eltern waren, war ich ernsthaft schockiert. Sie wirkten so nett und ausgelassen, jedenfalls die Frau, und schauten gar nicht böse aus.
Anders als Ryder. Er war gemein, selbstverliebt und ein Arschloch.
Ich beobachtete das verheiratete Paar, das sich zum Haus bewegte, bis etwas Anderes meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Zuerst erschien ein schlankes, langes Bein, dann das andere, darauf folgend der Kopf und anschließend der ganze Körper. Es war ein Mädchen. Die Gangart erinnerte mich an das Mädchen, das ich heute in der Geschichtstunde auf dem Feld spielend gesehen hatte. War sie das etwa gewesen?
Und dann stieg er aus:
Ryder Hill.
Der vermutlich fieseste, gutaussehe –

Moment, was dachte ich denn da?!

Gelassen ging er auf das Haus zu, wobei er nach oben schaute. Zu mir. Eine große, abgedunkelte Sonnenbrille prangte auf seiner Nasenspitze, doch das Größte, was sich auf sein Mund befand, war sein Grinsen. Als hätte er durch die Gardinen geschaut und mich auf frischer Tat ertappt.

Mist.

Verdammter Mist.

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