Kapitel 17 - In your arms

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Ich versuchte ruhig zu atmen und diesen beschissenen Kloß in meinem Hals wieder herunter zu schlucken. Ich würde ganz sicher nicht vor Leo Hollingworth heulen! Doch ich spürte genau, dass ich nicht in der Lage war auch nur ein Wort zu sagen ohne meine Selbstbeherrschung zu verlieren, die ich gerade mühevoll versuchte aufrecht zu erhalten. Mit zusammen gezogenen Augenbrauen starrte ich in Richards Bücherregal, meinen Blick fokussiert auf ein Buch mit rotem Einband.

„Meinetwegen, also: Embassy lebt doch noch!", versuchte er es erneut. Ich nickte und starrte dabei immer noch das rote Buch an als wäre es Schuld an meiner Misere.

„Roxy, du musst mir schon erzählen was genau jetzt ist, sonst können wir das Ganze hier gleich bleiben lassen!"

Ich ließ meinen Blick wandern, ließ das Buch, Buch sein. Dafür blickte ich jetzt stur auf das Parkett, zählte, wie viele Bretter es vom Schreibtisch bis zur Tür waren. Einundzwanzig. Dann holte ich tief und zitternd Luft, so als würde ich unter Wasser tauchen.

„Embassys Verletzung ist schlimm. Sie wird nicht mehr im Sport laufen können!", erzählte ich schließlich leise und schnell, den Blick noch immer auf das Parkett gerichtet. Leo schwieg. Wieso hatte er nichts mehr zu sagen? Wollte er sich nicht an meinem Leid ergötzen? Mich weiter auslachen und fertig machen? Ich hob nun doch meinen Blick und sah ihn an. Seine blauen Augen bohrten sich in die meinen. Ich dachte, ich sähe nicht richtig. In seinen Augen konnte ich sehen, dass es ihm wirklich leid tat, dass er wirklich Mitleid mit mir hatte.

„Tut mir leid.", sagte er schließlich leise und aufrichtig. Ich zuckte mit den Schultern, presste meine Lippen aufeinander. Die Tatsache, dass Leo wirklich Mitleid mit mir hatte, machte mich noch viel mehr fertig. Hinter meinen Augen brannten die Tränen und ich wusste nicht, wie lange ich sie noch aufhalten konnte.

„Was... was wird jetzt aus deiner Karriere?", fragte Leo schließlich. Und dann platzte es aus mir heraus. Ich schluchzte laut auf, presste ein „Vorbei!" hervor und kniff die Augen zusammen, doch die Tränen fanden einen Weg... Energisch, beinahe wütend, wischte ich sie mir im Sekundentakt weg. Schöne Scheiße, jetzt stand ich vor Leo und flennte... Gerade das hatte ich so unbedingt vermeiden wollen!

„Wir werden dieses Arschloch verklagen und ihn ausnehmen, bis wir auch seinen letzten Penny haben, und sein Sohn wird sich wünschen niemals mit dir gesprochen zu haben!", Leos Stimme klang tief und wütend. „Ich weiß, dir bringt es nichts, Embassy wird dadurch nicht wieder gesund... Aber ich möchte dir helfen...!", die letzten Worte hatte er sanfter gesagt. Ich lächelte ihn an, trotz der Tränen war es ein ehrliches Lächeln. Ich war dankbar für seinen Einsatz. Es tat gut zu wissen, dass er hinter mir stand. Unsere Vorgeschichte blendete ich jetzt einfach mal aus.

„Komm her!", er kam auf mich zu, legte seine Arme um mich und drückte mich fest an sich. Im ersten Moment war ich komplett überrumpelt. Umarmte er mich gerade wirklich? Und ließ ich es tatsächlich zu nachdem er mich wenige Minuten zuvor noch ausgelacht hatte? Ja... offensichtlich schon. Doch er war es, er war der, den ich brauchte! Ich drückte mein Gesicht an seine Brust, so wie ich es früher immer getan hatte. Ich atmete seinen Geruch ein. Er roch noch genauso wie ich es in Erinnerung hatte. Neben dem Pferdegeruch mein zweiter Lieblingsduft. Ich spürte, dass er sein Kinn auf meinem Kopf ablegte und presste mich noch fester an ihn. Wieso konnten wir nicht einfach zusammen sein, wie ein normales Paar? Ach ja richtig, weil Leo mich nicht liebte und mich nur benutzt hatte...

***

Danielle und Richard sahen mich sofort besorgt an, als Leo und ich in das große Esszimmer traten. Richard dachte wahrscheinlich, ich hatte wegen Embassy geheult. Danielle dachte, es wäre wegen Leo gewesen. Richard hatte Recht. Doch sie sprachen mich nicht darauf an. Auf dem Tisch standen viele verschiedene Schüsseln. Es sah aus, als würde es ein Abendessen für zwanzig Leute geben, dabei waren wir nur zu fünft. Zögerlich setzte ich mich neben Danielle. Sie hatte mich sofort zu sich gewunken. Leo nahm gegenüber von mir Platz. Nachdem ich meinen Heulanfall überwunden hatte, hatten wir über das weitere Vorgehen gesprochen. Leo war dabei wieder unnahbar gewesen, so wie sich ein Anwalt eben gegenüber seiner Mandantin verhält. Ich fühlte mich überhaupt nicht wohl und hatte keine Ahnung wie ich mit Leo umgehen sollte. Hatte sich etwas zwischen uns geändert? Würde er sich mir gegenüber jetzt wieder besser benehmen? Keine Frage, ich hatte mich wohl gefühlt in seinen Armen, doch er hatte mich bitter enttäuscht. Er hatte mir ins Gesicht gelogen und mich gedemütigt. Eine Versöhnung zog ich nicht in Betracht, selbst wenn er jetzt wieder der nette Leo war, der er im Sommer vor zwei Jahren, oder an Weihnachten gewesen war. Ich könnte ihm nicht mehr glauben, das Vertrauen hatte er verspielt. Ich vertraute ihm jetzt auf eine andere Weise, einer rein beruflichen. Er würde mir helfen Brian Miller, und wenn der Verdacht mit Sam sich bestätigte, auch diesen dran zu kriegen. Für mehr war kein Platz mehr auch wenn die Sehnsucht mich beinahe umbrachte.

„Roxanne, bitte bedien dich!", Mrs. Hollingworth, die neben ihrem Sohn saß, machte eine auslandende Geste über den reichlich gedeckten Tisch. Ich lächelte sie dankbar an und nahm mir von allem ein bisschen. Seit ich wieder mit Luke und Josh, den beiden Chaoten, zusammen lebte, war es mit frisch Kochen nicht weit her. In den letzten beiden Wochen hatte ich mich von Pizza, Steak und Nudeln ernährt. Als ich die Gabel in die Hand nahm, um ein Stück der Kartoffel aufzuspießen, bemerkte ich Richards Grinsen. Er grinste mich unverwandt an, was mich misstrauisch werden ließ. Ich hielt seinem Blick stand, verzog jedoch keine Miene. Endlich gab der Hausherr sich einen Ruck.

„Ich habe wundervolle Neuigkeiten!", verkündete er und genoss einen Moment die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde.

„Ich habe soeben mein Telefonat mit Rick Cromwell beendet.", wieder machte er eine bedeutungsvolle Pause.

„Roxy, du wirst dich freuen zu hören, dass du noch nicht raus bist! Rick hat es abgeklärt, er ist damit einverstanden, dass du am kommenden Wochenende beim letzten Qualifikationsspringen startest!"

Ich verschluckte mich und griff schnell nach dem Weinglas, welches vor mir stand.

„Ich habe kein Pferd, Richard. Embassy ist verletzt, schon vergessen?", fragte ich schließlich leise.

„Ich habe da eine ganz wunderbare Idee gehabt!", es machte mich wahnsinnig, dass er das Ganze so in die Länge zog. Konnte er nicht einfach sagen, was er für eine ganz wunderbare Idee hatte?

„Falls du Little Lady einfliegen lassen möchtest, das halte ich für keine gute Idee. Sie ist das Fliegen nicht gewöhnt. Sie würde erst in ein paar Tagen in England eintreffen, es ist nicht gut sie so kurz nach der Landung an den Start zu bringen.", sagte ich einfach. Ich hatte so eine Ahnung gehabt, dass genau das Richards Plan war. Doch er schüttelte langsam und grinsend den Kopf.

„Nein, meine Liebe. Ich habe ein ganz wunderbares Pferd im Stall, mit diesem wirst du ganz sicher in die Nationalmannschaft kommen!"

„Ach ja? Und wer soll das sein?", mischte Danielle sich nun ein und sah ihren Vater fragend an. Auch Mrs. Hollingworth hatte ihre Augenbrauen nach oben gezogen und sah ihren Mann misstrauisch an.

„Du wirst Voyeur reiten!"


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