Kapitel 23

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Den Rückweg zum Dorf verbrachten sie schweigend. Außer dem Knistern des Waldbodens unter ihren Füßen hörten sie nur das tiefe Geschrei der Nachtvögel, die schon jetzt auf der Lauer lagen. Die Geräusche der langsam beginnenden Nacht verschreckten Hannah und Marlon zwang sich, seinen Arm um ihre Schultern zu legen.

Kaum erreichten sie den Waldrand, ließ er sie wieder los. Er seufzte. Er wollte die Stille nicht unterbrechen.

Hannah war es, die zuerst etwas sagte. »Ist alles in Ordnung mit dir?« Sie klang zwar besorgt, allerdings nicht so, als bereute sie das, was geschehen war.

Marlon schüttelte den Kopf. Er wollte nicht mit ihr reden. Er war sich unsicher, ob es überhaupt jemanden gab, mit dem er sprechen wollte. »Du solltest heimgehen«, sagte er bloß und stapfte in Richtung Schmiede.

Olaf war der wahrscheinlich letzte Freund, den er noch hatte. Zwei hatte er soeben verloren – und daran war er selbst schuld. Es tröstete ihn nicht, in Hannahs Nähe zu bleiben. Das erinnerte ihn nur daran, was er eben zu Andalie gesagt hatte.

»Vielleicht sollte ich mit dir gehen«, meinte sie und folgte ihm wenige Schritte, doch er hielt sie zurück.

»Ich glaube, es wäre besser, wenn wir uns in nächster Zeit voneinander fernhalten.«

Er versuchte sich darüber klar zu werden, ob er sich wirklich schlecht fühlte, oder ob es bloß an der Prägung lag. Es konnte tatsächlich sein, dass es sich dabei um einen Zauber handelte, der ihn davon abhielt, den Drachen für alles zu hassen, was seine Sippe den Menschen angetan hatte.

Es war kaum vorstellbar, dass es Andalie darauf abgesehen hatte. Sie wirkte so herzensgut, so liebevoll. Sie war kein Monster, wie der Erddrache. Sie war vieles, aber keinesfalls bösartig.

Aber konnte er das mit Sicherheit sagen? Er kannte sie kaum. Wer garantierte ihm, dass sie nicht dasselbe Ziel hatte wie Deros?

Schnell schüttelte er die Gedanken daran ab. Er musste endlich einen klaren Kopf bekommen und mit sich selbst einig werden. Er musste herausfinden, was das alles bedeutete.

Olafs Gesicht zeugte von einem Lächeln, das Marlon an ihm noch nie gesehen hatte. Er schien glücklich und das war ein Zustand, den man von dem alten Schmied kaum kannte. Zumal Marlon seit Tagen keinen Handgriff mehr getan hatte, um ihn bei der Arbeit zu unterstützen.

Dennoch war Olaf froh, ihn zu sehen. »Junge, lässt ja ganz schön auf dich warten. Erzähl, wie geht's dem Drachenmädchen?« Sichtlich interessiert geleitete er Marlon ins Haus an den großen Tisch, an dem sie seit seiner Kindheit nicht mehr gemeinsam gesessen hatten. Darauf befand sich auch eine kleine Holzbank, die offenbar allein für Fynn gebaut worden war. Ein Jammer, dass er nie darauf sitzen würde.

Marlon überlegte, wie er es Olaf erklären sollte, dass er sich von dem Igel sowie von Andalie getrennt hatte. Er entschied, ganz von vorne anzufangen. Er brauchte seine gute Laune nicht sofort zu verderben. »Sie hat mit mir geredet«, sagte er nach kurzem Überlegen.

Es kam ihm nicht so vor, als hätte sie heute zum ersten Mal mit ihm gesprochen. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. So, als kannten sie sich bereits seit Jahren. Als waren sie sich so vertraut wie niemand sonst.

Der Gedanke an den Kuss drängte sich in den Vordergrund. Er ließ alles, was passiert war, klein und unwichtig erscheinen. Jedes Gespräch, das sie geführt hatten und all ihre Gefühle, die auf eine seltsame Art und Weise miteinander verbunden waren.

Aber darüber konnte er mit Olaf unmöglich reden. Er würde wahrscheinlich nicht einmal glauben, dass sie für kurze Zeit ein Mensch gewesen war.

»Tatsächlich?« Der Schmied lachte erfreut auf und rutschte ein Stück näher heran. »Sag schon, was hat se erzählt?«

Der GezeichneteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt