Kapitel 4

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Das Mal auf seiner Hand verschwand nicht. Es ließ sich nicht abschrubben, nicht ausreißen, noch nicht einmal herausschneiden. Die Wunden, die sich Marlon sogar mit Messern zufügte, heilten, als hatte er es nicht mal versucht. Tränen liefen ihm bereits über die Wangen. Er hielt die Schmerzen kaum aus. Sie waren unerträglich, doch schrecklicher war der Gedanke, jemand sah das Zeichen auf seiner Handfläche. Alles hätte er getan. Er kannte keine Grenzen, wie weit er dafür ginge, um es loszuwerden. Aber es blieb.

Mit jedem Messerschnitt, den er erlitt, wurden die Stimmen und Bilder in seinem Kopf wieder stärker. Immer, wenn er leise wimmernd die Schmerzen ertrug, sah er den Drachen vor seinem inneren Auge. Es war unmöglich zu fliehen.

Die Wunden wuchsen mit knisterndem Geräusch zu. Während sie verkrusteten, zog sich Marlons Haut zusammen, was beinahe schmerzhafter war, als die Verletzung selbst. Bevor er das Messer ein weiteres Mal umschloss, kniff er die Augen zu. So fest wie möglich, als linderte es die Schmerzen. Er zog die Klinge über das Symbol und unterdrückte er einen Schrei, indem er auf einen Holzscheit biss, der allmählich zu splittern begann. Als er anschließend mit verschleiertem Blick die Hand betrachtete, stellte er fest, dass sich die Wunde schloss und das Muster da war wie zuvor.

Mit einem wütenden Aufschrei warf er das Messer gegen die Wand, von der es nur mit dumpfem Geräusch abprallte. Marlon wischte sich über das Gesicht, das schon vollkommen nass von den Tränen war. Er rümpfte die Nase und stand schließlich vom Boden auf. Die ganze Zeit hatte er auf den harten Holzdielen vor seinem Bett gekniet, so als betete er. Doch alles, was er herausbrachte, waren fluchende Stoßgebete, die mit zunehmenden Schmerzen lauter wurden. Aber es schien zwecklos. Weder ein Gott, noch blinde Wut oder Verzweiflung halfen ihm. Es kam alles zu spät.

Mit geschlossenen Augen atmete Marlon tief durch. Er versuchte, seine Fassung zurück zu erlangen. Er konnte auf keinen Fall zulassen, dass irgendjemand bemerkte, was in ihm vorging. Auch nicht Fynn. Zwar würde er ihn nicht verstoßen, aber er konnte mit Sicherheit erklären, was es mit dem Mal auf sich hatte – aber das wollte Marlon überhaupt nicht wissen. Zu groß war die Sorge, es sei ein Todesurteil. Deshalb blieb es von höchster Priorität, geheim zu halten, was im Wald geschehen war.

Als Olaf ungeduldig gegen die Tür hämmerte, suchte Marlon fieberhaft nach etwas, das die Musterung auf seiner Hand abdecken konnte. Er kramte in seinen wenigen Sachen nach einem Stofftuch, das er um die Stelle schnürte. Er zog den Knoten fest genug, um es nicht zufällig zu verlieren. Für mehr blieb keine Zeit.

»Mach schon auf, Junge«, forderte Olaf und schlug mit der flachen Hand gegen die Holztür. Die war so unstabil, dass Olaf sie locker hätte einschlagen können, also riss Marlon sie schnell auf. Das Letzte, das er in seiner Situation brauchte, war eine kaputte Zimmertür.

Olaf schaute ihn nur kurz überrascht an, drehte sich anschließend jedoch um und schleppte sich die Treppe hinunter. »Du musst nochmal auf den Markt«, nuschelte er ziemlich undeutlich, aber Marlon verstand ihn. Er warf stöhnend den Kopf nach hinten. Konnte es eigentlich noch schlimmer kommen? Es gab keinen Ort, an dem Marlon sich jetzt unwohler gefühlt hätte, als inmitten unzähliger Leute, die nur auf einen Grund warteten, ihn aus dem Dorf zu jagen. Aber Olaf duldete keine Widerrede.

»Wir brauchen noch einen Laib Brot.«

»Klar, wenn du ihn sofort auffrisst wie ein verhungertes Schwein«, murmelte Marlon grimmig und hätte sich lieber weiterhin in seinem Zimmer verkrochen. Wenn Olaf nur nicht so vehement darauf bestehen würde. Er selbst hasste den Markt genauso sehr wie Marlon. Nie erklärte er sich freiwillig dazu bereit, zwischen all diese Menschen zu gehen.

Also blieb Marlon nichts anderes übrig. Er zog den Knoten des Tuches ein bisschen fester, bevor er losging.

Fynn fragte er diesmal gar nicht erst, ob er mitkommen wollte. Er war ohnehin viel zu beschäftigt, draußen in den Blättern herumzutollen, die vereinzelt vom Wind zur Schmiede getragen wurden. Achtlos ging Marlon an ihm vorbei und drehte sich nicht um, als er ihm hinterherrief. Nachlaufen konnte Fynn schlecht. Die kurzen Beine trugen ihn nicht schnell genug. Marlon machte sich daher keine Sorgen, von ihm verfolgt zu werden.

Der GezeichneteWhere stories live. Discover now