Kapitel 12

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Marlon hatte jedes Zeitgefühl verloren. Er konnte noch nicht einmal benennen, ob es Tag oder Nacht war, als Fynn ihn fand. Genauso war ihm unklar, wie dieser das überhaupt geschafft hatte. Marlon glaubte, unendlich weit von der Schmiede entfernt zu sein. Wie lange musste der Igel ihn also bereits suchen?

»Was machst du hier?«, fragte Fynn beinahe vorwurfsvoll. Fast so, als sei es allein seine Schuld, verwahrlost auf dem Waldboden zu liegen. Er rappelte sich ein bisschen auf bemühte sich allerdings nicht, auf seine Frage zu antworten. Er hätte ihm dieselbe stellen können. Schließlich war es ungewöhnlich, dass er sein sicheres Heim ohne Marlons Begleitung verließ.

Fynn tappte langsam auf ihn zu, als war er unsicher, in welchem Zustand er sich befand.

Er wusste es selbst nicht. Als er versuchte zu sprechen, kratzte seine Stimme. »Wieso bist du hier?«

»Um dich zu suchen, du Trottel.« Fynn verscheuchte die orangefarbenen Schmetterlinge, die sich an und um Marlon herum ausgebreitet hatten. Er hatte nicht wirklich mitbekommen, seit wann sie ihm Gesellschaft leisteten. Ihm war ihre Anwesenheit zwar bewusst, dennoch er war nicht in der Lage, etwas gegen die Tiere zu unternehmen. Sie saßen einfach nur da, als wachten sie über ihn. Es war allemal besser, als allein zu sein. Allerdings war er sich sicher, dass ihre Flügel zuvor noch einen dunkelblauen Farbton hatten.

»Himmel, du siehst elend aus«, rief Fynn. Zwar begann er, den Dreck von Marlons Sachen zu wischen, doch das war viel Arbeit für so ein kleines Kerlchen, also gab er auf.

»Danke«, seufzte Marlon. »Du wusstest schon immer, wie man jemanden aufmuntert.« Er wollte überhaupt nicht wissen, wie er aussah. Ihn interessierte gar nichts mehr. Zumindest waren die Schmerzen vergangen und seine Gedanken wieder klar. Dennoch fühlte er sich weiterhin fernab der Realität.

»Seit wann bin ich hier?«, fragte er, auch wenn Fynn dafür möglicherweise keine Antwort kannte. Allerdings hatte er mitbekommen, wann Marlon verschwunden war und konnte immerhin die Tage zählen. Ob Olaf sich Sorgen um ihn machte? Ob er glaubte, er sei tot? Alle anderen waren unversehrt nach Dronar zurückgekehrt, bestimmt dachte er, sie hätten ihn ermordet.

Marlon rappelte sich auf. Er musste zurück und Olaf sagen, dass er noch lebte. Der alte Mann hatte es nicht verdient, ihn einfach so zu verlieren.

»Vielleicht zwei oder drei Stunden«, antwortete Fynn und beobachtete ihn, wie er sich auf die wackeligen Beine stellte.

»Es kommt mir länger vor«, murmelte Marlon und war beinahe enttäuscht. Er hatte mit mehreren Tagen gerechnet. Vielleicht sogar so viele, dass die Leute vergaßen, weshalb sie ihn aus Dronar verbannt hatten.

»Haben sie dich angegriffen?«, wollte Fynn schließlich wissen und schaute ihm ungeduldig zu, wie er versuchte, sein Gleichgewicht zu finden.

»Nein«, sagte er knapp und stützte sich gegen einen Baum. Mit der anderen Hand tastete er den Bauch ab. Die Schmerzen waren vergangen. Auch die klebrige Flüssigkeit war verschwunden. Er war vollkommen unversehrt. »Den Drachen haben sie erwischt«, redete er weiter und überlegte, was ihn getroffen haben könnte, das solche Qualen verursachte. Und nun, nur wenige Stunden später, waren sie fort, als hätte es sie nie gegeben.

»Was ist dann mit dir passiert?« Fynn musterte die Stelle, die er festhielt.

»Ich erinnere mich an unglaubliche Schmerzen. Danach haben sie mich einfach hier gelassen.«

Fynn nickte überlegend, widmete seine Aufmerksamkeit dann wieder anderen Dingen. »Wo ist der Drache?«, wollte er wissen und schaute sich um, als erwartete er dessen Anwesenheit.

»Geflohen. Er sah beinahe so aus, als habe er Angst.« Marlon rief sich den verängstigten Ausdruck in seinen Augen ins Gedächtnis. Ein Blick, den er von Brak'dag Monsa nicht kannte. Weshalb sollte ein so großes, mächtiges Wesen sich vor den wenigen Menschen fürchten?

Der GezeichneteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt