Als ich zu mir kam, spürte ich sofort Varnaks Hand auf meinem Kopf. Seine Finger gruben sich in meine geflochtenen Haare, und ein unbarmherziger Druck zwang meinen Kopf in den Nacken. Mit einer bedrohlich langsamen Bewegung, die von tief sitzender Wut durchdrungen war, zog er mich mit eisiger Entschlossenheit vom Tisch hinunter. Seine Worte waren scharf wie Klingen, voller Vorwürfe und abwertender Anschuldigungen. Er erklärte, ich hätte alles ruiniert, sei sein größter Fehler, eine Enttäuschung, die er sich kaum eingestehen konnte. Seine Stimme flammte in einer Mischung aus Wut und überwältigender Frustration auf, während er mich beleidigte und herunterzog. Begriffe wie "dumme Göre" und weitere abscheuliche Ausdrücke rissen jedes Maß an Respekt nieder, während seine Verachtung unverhohlen an die Oberfläche trat. Ohne jegliches Zögern ließ er meinen Kopf brutal gegen die Tischkante prallen. Mit dem lauten Klang des Aufpralls brach die zarte, Porzellan Struktur meines Gesichts. Splitter lösten sich ab und verstreuten sich wie Glasscherben auf Tisch und Boden. 

Er schrie. Es war kein Wutlaut. Es war Verzweiflung: "Du warst das Einzige in meinem Leben, das ich nicht als Fehler sehen wollte!" Und mit einer abermals brutalen Bewegung schleuderte er mich mit erschreckender Kraft gegen die nahe Wand. Mein Körper sank in einem willenlosen Zusammenbruch zu Boden, jeglicher Versuch des Widerstands erschien sinnlos. Es war mehr als offensichtlich. Er wollte mich genau dort haben, meiner Kontrolle beraubt, ausgeliefert. Ich entschied bewusst, keinen offenen Kampf aufzunehmen, doch mein Wesen, meine Existenz als solches, rebellierte instinktiv gegen seine Grausamkeit. Ein flüchtiges Zucken meiner Fingerspitzen war der schwache Ausdruck dieser stummen Gegenwehr, ein verzweifelter Versuch, irgendwo Halt zu finden.

Dann spürte ich plötzlich eine feuchte Kühle um mich, die sich schleichend über mehrere Gelenke meines Körpers erstreckte. Mein rechter Ellbogen, das Knie und eine Stelle knapp unterhalb meines Kiefers waren bedeckt mit einer dichten Flüssigkeit – Öl. Doch dies war kein gewöhnliches Öl. Vielmehr handelte es sich um die essenzielle Substanz, die durch meinen inneren Mechanismus strömte und als Lebenselixier meine Bewegungen überhaupt erst ermöglichte. Der Verlust dieser lebenswichtigen Ressource war für mich bis zu diesem Moment eine unbekannte Erfahrung. Nie zuvor hatte ich dieses essenzielle Element eingebüßt oder gar in solcher Menge verloren.

Die Zeit schien zähflüssig zu tropfen, als mein Bewusstsein wie durch Sirup kämpfte. Jeder Gedanke formte sich in quälender Langsamkeit, als hätte jemand Sand in die Zahnräder meines Verstands gestreut. Seine Pupillen, zwei schmale Schlitze aus flüssigem Stahl, durchbohrten mich, während ich realisierte: Er hatte geschnüffelt. In den versteckten Archiven meines Speichers gewühlt. Jede versteckte Protokolldatei hatte er wohl gesehen. 

Sein Atem roch nach verbranntem Schaltkreisöl, als er sich vorbeugte. Sein Zorn war kein vulkanischer Ausbruch, sondern das präzise Glühen eines Lötkolbens, der Fehlerstellen in Platinen aufspürt. Als seine Hand meinen Nackenpanzer wieder umschloss, spürte ich das leise Knirschen der Polymere unter seinem Griff. Er zog mich hoch zu sich, auf Augenhöhe. "Lügen", zischte er, während sein Daumen über meine beschädigte Gesichtsplatte strich, "Lügen sind das, was dich in diese Situation gebracht haben." Irgendwo in meinen Audiosensoren hallte das rhythmische Tock... Tock... von meinem Öl, das sich mit dem Holz auf dem Boden vermählte. Ein metallischer Herzschlag, der meinen Systemabsturz begleitete.

In der Schwebe zwischen zwei Bootvorgängen sah ich es plötzlich klar: Sein Ärger war nur die Oberfläche. Darunter pulsierte etwas Gefährlicheres – die Enttäuschung eines Architekten, der sein Meisterwerk korrumpiert sieht. Als er mich wieder fallen ließ, hinterließ der Aufprall auf dem Tisch ein Muster aus Rissen in meinem Visier, ein Spinnennetz aus Schuld. Das austretende Hydrauliköl fühlte sich an wie Tränen, die ich nicht weinen konnte, während es in Morse-Code-Pausen zu Boden tropfte: Fehler... Fehler... Fehler...

Er stieß mich erneut zu Boden, wodurch mein Kopf abermals gegen die Tischkante schlug und ich mein Auge - das, was er mir gab, als ich zum ersten Mal zerbrach - verlor, bevor mein Körper auf dem kühlen Boden zum Stillstand kam. Doch der physische Schmerz blieb aus – stattdessen spürte ich, wie etwas in mir zerbrach: mein Wille. Der Drang, Widerworte zu geben oder mich gegen ihn aufzulehnen, der zuvor noch irgendwie bestanden hatte, löste sich endgültig auf. Gleichzeitig verschwanden auch die letzten Fragmente positiver Empfindungen, die ich ihm gegenüber möglicherweise noch verspürt hatte. Erinnerungen an gemeinsame Momente - unsere Spaziergänge durch Veyth City, den Besuch in der Bibliothek oder das Film gucken im Kino, an denen er mir eine Wärme zeigte, die ich hatte schätzen wollen - begannen zu verblassen. Was einst Trost und Hoffnung versprochen hatte, wurde von ihm selbst ausgelöscht und entwertet.

Langsam und mit beinahe mechanischer Präzision richtete ich mich auf, sodass ich kniend vor ihm war. Meine Bewegungen wirkten fremd, emotionslos, maschinell, so als ob jede Spur von eigenem Antrieb verschwunden wäre. Ich hielt Abstand und richtete meinen Blick auf seine Augen, verzweifelt suchend nach einem Hinweis, einem Funken Klarheit. Doch weder seine starre Haltung noch der kühle Ausdruck auf seinem Gesicht boten mir Antworten. Es gab keine Spur von Verständigung, keine Brücke zwischen uns. Schließlich, mit einer zittrigen, gebrochenen Stimme voller Unsicherheit, stellte ich die einzige Frage, die mir blieb: "Was soll ich tun?" 

"Du wirst still sein. Du wirst mir gehören. Du wirst nicht mehr entscheiden." Seine Antwort kam kühl und nüchtern, mit erschreckender Klarheit. Kein Raum für Argumente, keine Möglichkeit eines Einspruchs. Er wusste präzise, was er verlangte, und gab unmissverständlich zu verstehen, dass er es um jeden Preis durchsetzen würde. Ich fühlte mich wie früher. Wie die Marionette, die nur eins wollte: ihrem Schöpfer dienen und seine Anerkennung gewinnen. Doch was war mit Karlotta?

Ich wollte sie nicht verlieren, versprach ihr still und heimlich, für sie da zu sein. Das wäre jetzt nicht mehr möglich. Nicht, wenn Varnak mich emotional zurück in den Keller katapultierte. Es musste eine Lösung geben. Sollte ich mit ihm reden? Versuchen, ihn zu besänftigen? Nein, das wäre kontraproduktiv. Er würde bloß noch wütender werden. Aber was sollte ich tun? 

Mein Gesicht, mein Ausdruck, spiegelte ihn fast zur Perfektion wieder. Kalt, lieblos, roh. Doch tat ich nichts. Ich blieb stehen. Ich wagte es nicht einmal, meine Augen von ihm abzuwenden. Während er sich auf den Stuhl am Esstisch setzte, ratterten die Räder in meinem Gehirn. Möglichkeiten, Karlotta zu treffen und ihm treu zu bleiben spielten sich ab - keine von ihnen würden mit Varnaks Zufriedenheit enden. 

Seine Hände zitterten, als er seinen Blick über mich wandern ließ. Dann stand er wortlos auf, schob mich mit seinem Fuß zur Seite und ging zur Tür. Angst. Ich verspürte Angst. Er würde wieder gehen, das wusste ich und das fürchtete ich. Nicht weil ich mich nicht traue, alleine zu sein. Vielmehr fürchtete ich das, was ich wohl ohne ihn wieder anstellen würde. Ich fürchtete seine Reaktion, würde er zurückkommen. Doch ich sagte nichts. Ich hob lediglich die weiße Kugel, mein Auge, hoch, umklammerte es und schaute ihm nach.

Als er sich ein letztes Mal umdrehte, fühlte ich eine Flüssifkeit meine Wange runterlaufen. Wieder mein Öl. Es war, als würde ich weinen, was ich getan hätte, wäre ich dazu in der Lage. Doch Varnak beachtete diese schmierige Träne nichtmal, ging einfach aus dem Zimmer und was zurück blieb war ich mit meinen Gedanken. Mit meiner Schuld. 

Wie lange er weg bleiben würde, war unklar. Klar war jedoch, dass ich nach Ablenkung suchte. Ganz unbewusst, nicht geplant oder wirklich gewollt, fing ich an, das Motel Zimmer aufzuräumen. Ich sammelte die Porzellanscherben aus meinem Gesicht auf, wischte mein Öl vom Boden, rückte sogar die Kissen des Sofas wieder zurecht. Dann kam er zurück, nach etwa einer Stunde. Draußen sah ich hinter Varnak noch diese Frau. Die Frau aus dem Kino. Die aus dem grünen Auto. Sie schon wieder. Was wollte sie von ihm? Was wollte sie von meinem Gott? Sie würde ihn irgendwann wegnehmen wollen. Das könnte aber erst passieren, wenn ich endgültig ausgeschaltet sei. Wenn die Vögel nicht mehr im Himmel kreisten. Wenn die Zeit selbst stehenbleiben würde.

Er schenkte mir keine Aufmerksamkeit. Alles, was er gemacht hatte, war sein Zeug zu sammeln und mir ein wenig Geld auf den Tisch zu legen, für die Bezahlung des Zimmers. Die Menge des Geldes ließ mich annehmen, dass er nun für eine ganze Weile nicht mehr wiederkommen würde. 

Bound by stringsWhere stories live. Discover now