Varnak setzte sich neben mich, und das aufgeschlagene Buch – ein alter Militärführer, wie sich herausgestellt hatte – lag zwischen uns. Ohne ein Wort starrte ich ihn an, mein Körper blieb unbewegt. Warum sollte ich auch was tun? Ich hatte keinen Schimmer, was er von mir wollte.

"Lies", sagte er und zeigte mit dem Finger auf die erste Seite. Also fing ich an zu lesen.

"Disziplin bedeutet: gehorchen, bevor man gefragt wird. Eine Waffe wartet nicht. Sie handelt."

Meine Stimme hatte ich ruhig gehalten, ohne besondere Betonung auf den Worten. Als ich fertig mit dem ersten Satz war, blickte ich hoch zu Varnak. Er nickte, fast zufrieden. "Nochmal", schrieb er mir vor. Also wiederholte ich den Satz.

Meine Stimme blieb ruhig und neutral, ohne jegliche Betonung auf den einzelnen Worten. Nachdem ich den ersten Satz beendet hatte, hob ich meinen Blick zu Varnak. Er nickte, beinahe zufrieden. "Noch einmal", forderte er mich auf. Also wiederholte ich den Satz exakt so, wie zuvor. Daraufhin öffnete er die nächste Seite und ließ seinen Blick kurz darüber gleiten, bevor er vorlas: "Tarnung. Manipulation. Überzeugung." Seine Stimme klang unnachgiebig und kühl, dabei von einer klaren Bestimmtheit geprägt. "Lies es. Und speichere es so, wie ich es sage", wies er mich an. Ich erfüllte seine Anweisung und las die Worte nach, im selben Tempo, mit der gleichen Intonation, ohne Abweichung.

"Tarnung", wiederholte ich, "bedeutet, unsichtbar zu sein. Unwichtig. Niemand darf dich bemerken, bevor es zu spät ist."

Ich tat, was er wollte, las das, was dort stand, und dennoch unterbrach und korrigierte er mich. "Nein, Jolika. Tarnung heißt nicht nur, unsichtbar zu sein. Tarnung heißt, dass du gesehen werden kannst - aber dass niemand erkennt, was du bist."

Ich konnte nicht verstehen, warum er mich korrigierte, schließlich hatte ich doch nur laut vorgelesen. Wenn im Text ein Fehler steckte, lag das nicht an mir. Aus meiner Sicht war sein Eingreifen völlig unnötig. Dennoch akzeptierte ich es ohne Widerrede.

Wir führten das gemeinsame Lesen fort. Dabei erläuterte er mir die Feinheiten von Tarnung und Manipulation, während ich konzentriert zuhörte, die Informationen speicherte und sie konsequent in meinem künstlichen Bewusstsein verankerte. Am Ende der Lektion teilte er mir mit, dass ich am nächsten Tag gefordert wäre, mein frisch erlangtes Wissen unter Beweis zu stellen. Die Aufgabe bestand darin, an der Rezeption eine harmlose Frage zu stellen und dabei so geschickt vorzugehen, dass ich mehr Informationen von der Angestellten erhielt, als sie üblicherweise preisgeben würde.

Ein leiser Hauch von Vorfreude durchzog mich. Endlich würde die eintönige Langeweile ein Ende finden. Endlich bot sich mir die Möglichkeit, mein Können zu beweisen und etwas Wertvolles für ihn – für uns – beizutragen. Und da war es wieder, dieses Zittern. Diesmal war es jedoch schwächer, weit entfernt von dem intensiven Beben, das mich zuvor erfasst hatte. Meine Finger prickelten vor innerer Unruhe. Der Drang, sofort aufzustehen, nach draußen zu gehen und zu handeln, wurde immer stärker. Dennoch zwang ich mich, diese Impulse zu unterdrücken.

Der Tag verabschiedete sich, während ich weiterhin regungslos auf dem Sofa verharrte, den Blick fixiert auf den seltsamen Apparat, der Menschen in allerlei Szenarien zeigte. Varnak hatte mir erklärt, dass dies ein Fernseher sei. Er selbst hatte in dieser Nacht keinen Schlaf gefunden, ich konnte es spüren. Meine Augen blieben wachsam, registrierten jede seiner Bewegungen in meinem peripheren Sichtfeld. Auch der rhythmische Takt seines Herzschlags ließ mich seine innere Unruhe erahnen; sie war für meine geschärften Sinne klar und unüberhörbar.

Endlich endete die Nacht. Varnak brauchte nicht lange, um aufzustehen, sobald die Sonne aufging. Er näherte sich mir, neigte sich leicht zu mir runter und flüsterte mir süße Worte zu. "Du wirst jetzt für ein paar Stunden allein sein", sagte er. Es klang wie eine Verführung, ein leises Gebet, das voller Erwartungen steckte. Ich schenkte ihm keine Reaktion, keine Bewegung, keine Emotionen in meinem Gesicht. Nur Stille und Akzeptanz.

Bound by stringsWhere stories live. Discover now