Erwachen

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Das erste, was mein Porzellankopf sich ins Gedächtnis rufen kann, ist kein spezifischer Augenblick. Es handelt sich auch wirklich nicht um eine echte Erinnerung. Es ist lediglich ein Gefühl, eine Einstellung. Als ich zum ersten Mal meine gläsernen Augen öffnete und das Licht der Welt wahrnahm, überkam mich ein Gefühl. Ein Gefühl, das mich von diesem Moment an mein Leben lang begleitete. Das und eine Wunde.

Nicht meine Wunde, sondern die von meinem Schöpfer. Fett über den Hals, verheilt, aber deutlich Sichtbar. Eine Geschichte, die nicht erzählt werden wollte. Ich stellte es nie in Frage. Ich war nicht in der Lage, es zu hinterfragen, denn meine Programmierung verbot es mir. Der Mann, der mich erschuf, Varnak, sorgte dafür, dass ich niemals alleine leben konnte. Ich war gefangen. Sowohl körperlich als auch geistig war ich gefangen.

Die ersten sieben Monate meiner Existenz hatte er mich an feste, robuste Fäden gebunden und eingesperrt. Ich hing von der Decke, ähnlich einer Theaterpuppe, die momentan nicht verwendet wurde. Viel Zeit verbrachte ich in einem verwüsteten Keller, in dem auch andere, unfertige Puppen lagen, bevor er mich eines Tages nach draußen nahm. Dies tat er auch nur unter der Bedingung, dass ich ihm nicht von der Seite weichen würde. An diesem Tag befreite er mich zum ersten Mal von den Fäden.

Der Keller, in welchem ich lebte, war Teil eines verfallenen Gebäudes in einem kleinen, verlassenen Stadtviertel in der Nähe von Veyth City. Dieses Viertel war alt, viele der Häuser verwüstet und mit Graffiti besprüht. Er erklärte mir, dass es hier sicher sei, sicherer als an jedem anderen Ort. Schließlich kam nie jemand hierher. Wovor ich hier sicher war, begriff ich erst viel später.

Varnak nahm mich gelegentlich mit raus, zeigte mir die Umgebung, jedoch gingen unsere Erkundungen selten über die Grenzen meines Wohnorts hinaus. In der Regel tat er dies allein, wenn er zum Beispiel neuen Tabak für seine Pfeife oder Lebensmittel besorgen musste. Für Einkäufe musste er immer in die Großstadt und dort wollte er mich nicht dabei haben. Es sei dort zu gefährlich für mich.

Eines Tages hörte ich, wie sich die Tür unseres Hauses mit einem lauten Knarren öffnete. Wie so oft befanden Varnak und ich uns im Keller. Er war gerade dabei, den kleinen Finger meiner linken Hand wieder an mir zu befestigen. Ich wusste nicht, warum er nicht mehr an meinem Körper war. Ich musste ihn verloren haben, doch wann? Eigentlich war ich nicht in der Lage, zu vergessen. Mein Gehirn war maschinell, dessen war ich mir bewusst, deswegen konnte ich auch nichts vergessen. Die Speicherplatten in mir merkten sich alles, jedes noch so kleine detail, wieso also wusste ich nicht, was mit meinem Finger geschehen war?

Varnak nahm das Geräusch der sich öffnenden Tür auch war und zögerte nicht, als er etwas Blaues über mich warf. Es war so etwas, wie eine eine Plane, auf der weiße Muster aufgebracht waren. Was genau das war, wusste ich nicht. Ich kannte niht viele Dinge.

Dann wies er mich an, mich nicht zu rühren. Ich ließ es geschehen und blieb auf dem Stuhl sitzen, rührte keinen meiner hölzernen Muskeln. In meinem Verstand zählte ich die Sekunden, solange er weg war. Das machte ich immer, wenn er ging. Als ich bei Sekunde 1077 angekommen war, vernahm ich ein dumpfes Geräusch. Es klang, als wäre etwas umgekippt. Kurz darauf zerschmetterten Gläser. Und dann vernahm ich etwas, das ich nicht ausblenden konnte. Ich hörte meinen Namen.

"Jolika!", rief Varnak. Ohne zu hesitieren sprang ich auf und schritt langsam die Kellertreppe hinauf. Sein Tonfall klang beinahe verzweifelt. Ich war verpflichtet nach oben zu gehen. Was ich dann erblickte, offenbarte in mir Gefühle, die ich nicht kannte. Es waren Aggressionen, die Begierde zu töten. Was genau ich dort sah - oder eher, wen - weiß ich nicht mehr. Nur diese Mordlust konnte sich in mein Gedächnis brennen. Ich weiß, schnappte mir eine zerbrochene Flasche und stürmte auf Varnak und drei Fremde zu. 

Und dann... Leere...

Mein Gedächtnis wie ausgelöscht. Das nächste, was ich wahrnahm, war ein brennender Schmerz in meiner Brust. Ich lag im kalten Schlamm am Straßenrand, meine rechte Hand einige Meter entfernt. Mein ganzer Leib war mit Blut überschüttet, meine Gelenkverbindungen beschädigt und mein rosafarbenes Kleid zerissen. Woher stammte das Blut? Es war nicht meins, in meinem Körper befand sich nichts organisches. 

Bound by stringsTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang