"Varnak, glaubst du, dass Rasp uns töten wird? Oder werden wir ihn töten? Schließlich ist das doch der Kern unserer Mission. Ihn auszuschalten. Ich trage die Schuld daran, dass er uns gefunden hat, weißt du. Die Frau an der Rezeption hat ihm Bescheid gesagt. Ich selbst habe ihr mitgeteilt, dass Rasp uns aufsuchen soll. Ja, ich habe ihr sogar unsere Zimmernummer genannt. Genau das war doch dein Ziel, oder etwa nicht? Du wolltest seine Aufmerksamkeit. Stimmt das? Aber warum schweigst du jetzt? Bitte, sei nicht wütend auf mich. Alles, was ich wollte, war dir zu helfen." Doch meine Worte schienen ihn nicht einmal zu berühren, als wäre ich nicht mehr als eine leichte Brise für ihn. Keine Antwort, kein Anzeichen von Reaktion. Er blieb bewegungslos, starrte reglos gegen die Wand und schien in eine andere Welt einzutauchen, vertieft in seine eigenen Gedanken, vielleicht grübelnd über den nächsten Schritt.
Dann, als ob eine Entscheidung in ihm gereift wäre, griff er plötzlich nach meinem Oberarm und zog mich energisch näher heran. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, als er mir befahl, still zu sein. Ohne länger zu zögern führte er mich hinaus. Mit seinem Fischerhut tief in mein Gesicht gezogen, seinem Mantel, der seine markante Erscheinung fast vollständig verhüllte, und dem Zylinder mit einer Rose darauf auf seinem Kopf ging er entschlossen zur Rezeption. Seine Hand packte meine so fest, dass jeglicher Gedanke daran, ihm zu entkommen, sinnlos erschien, koste es, was es wolle.
Ich wollte jedoch nicht flien. Ich wollte wieder seins sein. Sein Geschöpf. Eine Marionette, die ihrem Gott treu bleibt. So wäre es am sichersten für beide von uns. Das, was ich alleine in Veyth City erlebt hatte, hätte niemals passieren sollen. Sobald er das herausfinden würde, was während seiner Abwesenheit geschah, würde er vor Wut überkochen. Was er mir dann antun würde, wollte ich mir nicht einmal Vorstellen. Woher kam aber dieser plötzliche Sinneswandel? Gerade mal kurz vorher wollte ich ihn doch loswerden. Ich verstand mich selbst nicht mehr. Meine Motive, Gefühle und Gedanken waren ein Mysterium. Vielleicht lag es daran, dass er mir gedroht hatte, etwas zu nehmen, das ich nicht eigenständig zurück bekommen würde. Oder vielleicht lag es an dem Kribbeln in meinem Bauch, als er mich packte und befahl, still zu sein. Vielleicht mochte ich seine grobe Art ja. Und vielleicht mochte ich es so sehr, dass ich meine Grenzen testen wollte, nur um eine strenge Reaktion von ihm zu bekommen. Ich wusste es nicht.
An der Rezeption verlangte Varnak ein neues Zimmer, möglichst weit entfernt von unserem bisherigen. Während er mit dem Mitarbeiter des Motels die Schlüssel tauschte, blieb ich ruhig im Hintergrund und hielt mich zurück. Ganz brav. So, wie er es wollte und mochte. Kurz darauf gingen wir zu unserem neuen Zimmer, als eine Gruppe älterer Menschen an uns vorüberzog, eine Ansammlung, die Varnak einmal scherzhaft als "Rentnertrupp" bezeichnet hatte. Ohne große Worte zog er mich mit sich, und wir reihten uns unauffällig in ihre Gruppe ein, begleiteten ihren Rundgang bis zum erneuten Eintreffen am Motel. Dort trennten wir uns von den anderen und begaben uns in unser frisch zugewiesenes Zimmer.
Kaum hatten wir die Tür geöffnet, ließ ich meinen Blick aufmerksam durch den Raum schweifen, um jedes Detail zu erfassen. Zu meiner Überraschung unterschied sich das neue Zimmer kaum von unserem vorherigen. Dieselbe eintönige Einrichtung, derselbe kleine Fernseher, dasselbe abgeschabte Sofa. Lediglich die Küche bot eine kleine Veränderung. Der Messerblock war mit sieben Messern bestückt, drei mehr als im letzten Zimmer.
Ich ließ mich schwerfällig auf das Sofa sinken, die Polster leicht nachgebend unter meinen 8kg Gewicht, und griff wie von unsichtbarer Hand geleitet zur Fernbedienung, um den Fernseher zu aktivieren. Die Bilder flackerten vor meinen Augen, ihre Bewegung zog meinen Blick magnetisch an, während mir kaum bewusst wurde, dass Varnak sich aus dem Raum zurückgezogen und ins Bett gegangen war. Er hatte einen müden Eindruck hinterlassen, seine Schritte waren schleppend gewesen, ein Gemütszustand, der ihn in letzter Zeit oft zu übermannen schien. Es dauerte nicht lange, bis ich mich dafür entschied, ihn heimlich zu beobachten, wie ich es schon einige Male zuvor getan hatte. Seine Schlafphasen waren ein wechselhaftes Schauspiel. Anfangs von Unruhe geprägt, begleitet von leisen, unverständlichen Lauten, bevor er schließlich in einen Zustand völliger Erschöpfung verfiel. Dieser tiefe Schlaf wirkte wie eine undurchdringliche Barriere, die ihn von äußeren Einflüssen abschottete. Nichts und niemand schien ihn aus diesem Zustand herausreißen zu können.
Nach einer Weile rief mich ein unerklärlicher Drang dazu auf, mich vom Sofa zu erheben. Schritt für Schritt näherte ich mich seinem Bett und kniete mich schließlich wie ehrfürchtig neben seiner liegenden Gestalt nieder. Meine Hände suchten die Seine, ihre kalte Berührung fühlte sich vertraut und doch fremd an. Mein Blick haftete an seinem Gesicht, dessen Frieden täuschend war, eine Maske für all das, was zwischen uns verborgen lag. Mit einer Stimme, gedämpft und fast zaghaft, ließ ich Worte aus meinem Innersten an sein Ohr dringen: "Warum hast du mich erschaffen? Warum hast du mir beigebracht zu denken? Du hast mir ein Leben geschenkt, das so unendlich kompliziert geworden ist, seit ich einen eigenen Willen entwickelt habe." Diese leise Klage war mehr als bloß eine Frage. Es war ein Ausdruck dessen, was in mir seit längerem tobte.
Er konnte nicht begreifen – nicht im Schlaf und vermutlich auch nicht im Wachzustand –, dass mein Handlungsdrang uns beide immer tiefer in diesen unerträglichen Kreislauf zog. Während ich dort kniete, wurde mir die Härte dieser Realität auf schmerzliche Weise bewusst. Der Raum schien trostloser als zuvor, eine Bühne für den inneren Kampf, der in mir unentwegt tobte und dessen Kraft ich kaum noch aufzubringen imstande war. Es war eine stille Auseinandersetzung zwischen Selbstbestimmung und den Fesseln, die meine Existenz unaufhörlich begleiteten, ein Verlangen nach Klarheit in einer Welt voller Widersprüche.
Nach meinem stillen Gebet zu meinem Gott Varnak kehrte ich zurück zum Sofa, ließ mich darauf nieder und setzte mich wieder vor den Fernseher, als ob nichts geschehen wäre. Varnak schlief ungewöhnlich lange, ganze elf Stunden, was exakt 39.600 Sekunden entspricht. Doch als er endlich erwachte, war unmittelbar zu spüren, dass etwas anders war. Sein Herz schlug in einem merkwürdig rastlosen Rhythmus, als würde ihn ein schlechter Traum nicht loslassen.
Ich blieb regungslos auf dem Sofa sitzen, während er zur Pfeife griff und den Raum mit schweren Rauchschwaden füllte. Es fiel mir sofort auf, dass er nicht, wie sonst üblich, hinausging, um zu rauchen. Sonderbar. Vielleicht plagten ihn Sorgen, vielleicht sogar Angst. Aber wovor? Er war schließlich ein Gott, mein Gott. Er machte das Unmögliche möglich, baute ein nicht menschliches Wesen, das sprechen und denken konnte. Was könnte einem wie ihm überhaupt Furcht einflößen? Varnak besaß einen scharfen Verstand und war von Natur aus meisterhaft darin, andere zu manipulieren. Er hatte keinen Grund zur Angst, besonders nicht mit mir an seiner Seite.
Ich hätte niemals zugelassen, dass ihm irgendetwas widerfährt. Wenn es nötig wäre, würde ich bereit sein, alles und jeden um uns herum zu zerstören, nur um ihn zu beschützen. Ich würde die ganze Stadt ins Chaos stürzen, sollte es seinen Schutz garantieren. Auch wenn ich in den letzten Tagen ein wenig ungehorsam gewesen war und einige seiner Anweisungen ignoriert hatte, blieb ich dennoch sein Schatten, sein unerschütterlicher Wächter, sein stiller Schutzengel.
BINABASA MO ANG
Bound by strings
Teen Fiction"Wieso? Wieso bin ich kein Mensch? Wieso hast du mich erschaffen?" Jolika, eine Puppe, geschaffen um zu gehorchen. Gebaut, um zu töten, um stand zu halten. Gelehrt, was ihr Schöpfer für richtig hielt. Die Sicht des Mannes, welcher die Marionette z...
