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Das Café meiner Eltern roch wie immer nach frischem Mokka und warmem Gebäck. Die Espressomaschine zischte, Teller klapperten, und draußen auf der Oranienstraße rauschten Autos vorbei, vermischten sich mit den Stimmen von Passanten. Meine Mutter war in der Küche, Baba arbeitete im Büro an irgendwelchen Rechnungen.

Ich fühlte mich hier sicher. Zwischen den dampfenden Tassen, den vertrauten Gesichtern der Stammkunden, die mich seit meiner Kindheit kannten. Hier war ich nicht „die Kleine von den Jungs" oder „Sonnenschein", hier war ich einfach Rafi, die Tochter des Cafés.

Die Tür klingelte. Ein neuer Gast. Ich blickte auf - ein Mann, Anfang zwanzig vielleicht, dunkle Jacke, Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Er wirkte nicht wie die anderen Gäste, die sonst gemütlich ihre Çay tranken. Er wirkte... zielgerichtet.

„Ein schwarzer Kaffee. To go." Seine Stimme war ruhig, tief.

Ich griff automatisch nach dem Pappbecher, ließ die Maschine laufen, goss den heißen Kaffee hinein. Doch je länger er sprach, desto mehr zog sich mein Magen zusammen. Irgendwas an dieser Stimme. Sie vibrierte in meinem Kopf, wie ein Echo von woanders. Zu vertraut, zu nah.

„Zwei Euro fünfzig", murmelte ich, versuchte, normal zu bleiben. Er legte das Geld hin, ohne mich richtig anzuschauen. Ich reichte ihm den Becher, unsere Finger berührten sich fast.

Dann drehte er sich zur Tür, und während er hinausging, sagte er leise, fast beiläufig, aber genau so, dass nur ich es hören konnte:
„Danke, Rafiqa."

Mein Herz blieb stehen.

Es war die Stimme. Dieselbe wie am Telefon. Tief, kontrolliert, ein bisschen spöttisch.

Ich erstarrte, den Blick auf den Becherstapel vor mir geheftet. Ich wollte rufen, wollte hinterher - aber als ich den Kopf hob, war er schon draußen. Die Tür klappte hinter ihm zu, die Glocke bimmelte hell, viel zu normal für das, was gerade passiert war.

Ich rannte zur Scheibe, drückte mich ans Glas. Auf der Straße liefen Leute vorbei, zu viele Gesichter, zu viele Kapuzen. Der Mann war verschwunden. Einfach in der Menge aufgelöst.

Meine Hände zitterten, ich umklammerte das Holz der Theke. Er kennt meinen Namen. Er weiß, wer ich bin. Er hat mich gesehen. Schon lange.

Die Worte im Telefonat dröhnten wieder in meinen Ohren: Ich sehe dich immer.

Ich zwang mich, tief durchzuatmen, doch mein Herz raste, als hätte ich gerade einen Marathon gelaufen. Ich spürte, wie Schweiß meinen Nacken hinunterlief.

Ich konnte das niemandem erzählen. Nicht den Jungs, nicht meiner Mutter. Noch nicht.

Aber eins war klar: Das war kein Zufall mehr.
Und er wollte, dass ich ihn erkenne.

RAFIQA | abuglitschOù les histoires vivent. Découvrez maintenant