Ich wachte nicht wirklich auf.
Ich glitt.
Zwischen Schleier und Stille, zwischen Stimmen und Erinnerungen. Mein Körper fühlte sich an, als wäre er nicht ganz meiner. Schwer. Langsam.
Aber ich spürte etwas. Wärme.
Die Decke über mir. Und einen vertrauten Geruch. Abu's Zimmer.
Moschus, Rauch, Waschmittel. Und diese eine Parfümnote, die ich immer bei ihm roch, auch wenn er sagte, er benutze „einfach Axe".
Meine Lippen waren trocken. Meine Augen brannten.
Langsam, ganz langsam, öffnete ich sie.
Der Raum war halbdunkel. Nur das kleine Licht über der Kommode war an. Die Gardinen waren halb zugezogen. Draußen hörte man Kreuzberg atmen: eine Sirene irgendwo weit entfernt, Motoren, jemand, der auf Türkisch fluchte.
Und dann... Atem. Neben mir.
Abu.
Er saß auf dem Boden neben dem Bett, den Rücken an die Wand gelehnt, den Kopf zur Seite geneigt, die Augen halb zu.
Er war wach. Er hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, das wusste ich sofort.
Als ich mich bewegte, hob er den Kopf.
„Rafi?" Seine Stimme war leise, aber so angespannt, als würde sie gleich brechen.
Ich wollte nicken. Ich wollte sagen, dass es mir leidtat. Dass ich nicht wusste, wie es so weit gekommen war.
Aber alles, was kam, war ein raues Flüstern: „Wasser..."
In einer Sekunde war er auf den Beinen.
Er kam zurück mit einer Flasche, hielt sie mir an die Lippen. Ich trank. Langsam.
Jeder Schluck fühlte sich an wie Rettung.
Dann setzte er sich ans Bett, direkt neben mich. Schaute mich an, lange.
Er sagte nichts. Und genau das war das Schlimmste.
„Ich... wollte das nicht. Ich war einfach nur müde.", flüsterte ich schließlich.
Sein Blick blieb ernst. „Du weißt, was Lean mit Leuten macht."
„Ihr nehmt es doch auch."
„Wir sind schon längst kaputt, Rafi. Du nicht."
Ich drehte mich zur Seite. Ich konnte das nicht hören. Nicht jetzt.
Er lehnte sich vor, seine Stimme wurde ruhiger. „Als ich dich da im Hof gesehen hab... wallah, ich dachte... ich hab richtig Schiss bekommen. Du warst einfach weg. Weißt du, wie du ausgesehen hast? Wie tot."
„Aber ich bin nicht tot." Ich lächelte bitter. „Noch nicht."
Abu atmete scharf ein. Dann stand er plötzlich auf, lief ein paar Schritte durch das Zimmer, als müsste er die Wut abschütteln.
„Weißt du, was das Problem ist? Du warst immer unser Licht. Du, Rafiqa, warst das letzte Gute hier. Wenn du jetzt auch noch auf diesen Weg gehst... dann ist alles vorbei."
Ich starrte an die Decke.
So viele Gedanken. So viele Gefühle, die ich nicht greifen konnte.
Und mittendrin: ein Wunsch.
Ein dummer, kindlicher Wunsch, dass einfach mal jemand da bleibt.
Dass ich nicht immer stark sein muss. Nicht immer die sein muss, die lächelt.
„Ich war allein", flüsterte ich.
„Ihr wart alle weg. Seit Tagen. Und ich... ich wusste nicht wohin mit mir."
Abu kam zurück, setzte sich aufs Bett, legte vorsichtig seine Hand auf meine.
„Ich weiß. Und es tut mir leid. Wirklich. Ich hätt dich nicht allein lassen dürfen."
Ich blickte ihn an. Seine Augen waren müde, aber warm.
Und da war wieder dieses Gefühl in meiner Brust - das, was ich so tief vergraben hatte.
„Bleibst du heute bei mir?", fragte ich leise.
Er nickte, ohne zu zögern.
„So lange du willst."
Ich drehte mich zur Seite, sah ihn an.
„Ich hab meinen Namen gesagt", flüsterte ich. „Im Hof. Als die aus Neukölln mich gefragt haben. Ich hab gesagt, wie ich heiße. Ich war so blöd..."
„Das war nicht deine Schuld."
Abu sah weg, presste die Lippen zusammen. Dann:
„Can und RB meinten, sie haben wieder mit denen geredet. Ein paar Sachen geregelt. Es wird unruhiger. Wir sind fast fertig mit der Kohle. Vielleicht kommt's gar nicht so weit. Vielleicht geben sie Ruhe."
Aber wir beide wussten: In Kreuzberg gab's keine Ruhe. Nur Pausen zwischen dem nächsten Sturm.
Ich legte meine Hand auf seine.
„Ich will nicht kaputtgehen", sagte ich. „Aber ich weiß nicht mehr, wie man ganz bleibt."
Er zog meine Hand an seine Brust.
„Dann geh nicht kaputt. Bleib bei mir. Ich pass auf dich auf."
Für einen Moment glaubte ich ihm.
Für einen Moment war da nur diese Wärme, sein Herzschlag, mein Atem.
Kein Lean. Kein Beton. Keine Schulden.
Nur wir.
Aber irgendwo draußen in der Straße drehte schon der nächste Motor auf.
Und ich wusste: Kreuzberg schlief nie.
Und unser Frieden war immer nur geliehen.
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RAFIQA | abuglitsch
Fanfiction„𝗨𝗻𝗱 𝘄𝗲𝗶𝗹 𝗱𝗶𝗲 𝗪𝗮𝗵𝗿𝗵𝗲𝗶𝘁 𝗴𝗲𝗳ä𝗵𝗿𝗹𝗶𝗰𝗵 𝗶𝘀𝘁,"𝗳ü𝗴𝘁𝗲 𝗲𝗿 𝗹𝗲𝗶𝘀𝗲 𝗵𝗶𝗻𝘇𝘂,„𝗮𝗯𝗲𝗿 𝗨𝗻𝘄𝗶𝘀𝘀𝗲𝗻...𝗸𝗮𝗻𝗻 𝘁ö𝗱𝗹𝗶𝗰𝗵 𝘀𝗲𝗶𝗻." Rafiqa wächst in Kreuzberg zwischen Altbauten, Beats und bröckelnden Träumen auf...
