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Ich wachte auf, als erstes fühlte ich Wärme.

Nicht von der Sonne - die war noch schüchtern hinter den dichten Berliner Altbauvorhängen versteckt - sondern von ihm. Von Abu.
Mein Kopf lag auf seiner Brust, sein Arm locker um mich geschlungen. Sein Herzschlag ruhig, fast melodisch. Ich spürte seinen Atem an meinem Haar, und irgendwo draußen bellte ein Hund.

Für einen Moment blieb ich einfach so liegen.
Nicht weil ich müde war.
Sondern weil es sich sicher anfühlte.
Wie früher.

Wir hatten so oft nebeneinander geschlafen - auf Sofas, auf Matratzen bei Can oder RB, unter freiem Himmel auf Hochhausdächern, bei Regen im Treppenhaus, wenn es zuhause mal wieder Streit gab.
Aber jetzt war es mein Bett. Meine Decke. Meine Nähe.
Und trotzdem... war es genau wie damals.

Ich bewegte mich leicht, versuchte vorsichtig, mich aus seinem Arm zu lösen, aber er murmelte nur ein verschlafenes „Lass", zog mich einen Moment fester an sich, bevor er dann auch langsam die Augen öffnete.

„Guten Morgen, Canım," murmelte er mit rauer Stimme.
Ich grinste. „Falsche Rolle, Bruder."

Er blinzelte, dann lachte leise. „Stimmt. Das ist Can sein Move."

Ich richtete mich auf, fuhr mir durch die Haare, tastete nach meinem Handy. 08:32.
Früh für uns.
Aber ich mochte solche Morgende. Wenn die Welt draußen noch schläft und alles hier drinnen ein bisschen langsamer ist.

„Baba ist arbeiten", murmelte ich. „Mama macht bestimmt gleich Frühstück."

Abu stand auf, streckte sich und rieb sich den Schlaf aus dem Gesicht.
„Dann geh ich mal ‚Salamün aleyküm' sagen, bevor sie denkt, ich hab bei euch eingebrochen."

Ich warf ihm ein Kissen an den Kopf, traf fast.
Er lachte, hob die Hände.
„Wallah, Spaß!"

Dann tappte er barfuß aus dem Zimmer, die Jogger lose auf der Hüfte, die Haare verwuschelt.

Ich hörte, wie er draußen vorsichtig „Günaydın teyze" sagte, mit seinem leicht gebrochenen Türkisch, das aber immer noch besser war als das vieler, die seit Jahrzehnten in Kreuzberg lebten.
Mama antwortete sofort - ein fröhliches, helles „Ayy Abu oğlum!"

Ich grinste.
Sie liebte ihn.
Vielleicht, weil sie merkte, dass er mich beschützte.
Vielleicht, weil er nie kam, ohne freundlich zu sein.
Vielleicht, weil er sie immer wie eine echte Mutter behandelte, nicht wie irgendeine fremde Türkin.

Ich ging in die Küche. Der Duft von Menemen und frisch gebrühtem schwarzem Tee lag in der Luft.
Mama stand am Herd, Abu saß bereits auf dem Hocker an der Seite, trank ein Glas Tee und schälte mit viel zu viel Mühe eine Gurke.
Er sah auf, als ich reinkam.

„Hab dir schon Tee gemacht", sagte er stolz.
„Er lebt gefährlich", neckte ich. „Mama traut niemandem ihren Çay-Kocher an."

„Heute ja. Heute ich Chef", grinste er breit, obwohl Mama ihn längst mit einem Küchenhandtuch leicht auf den Rücken geschlagen hatte.

„Otur kızım, kahvaltı hazır," sagte sie zu mir, und ich setzte mich.
Abu reichte mir den Tee.

Wir aßen zusammen.
Türkisches Frühstück war immer ein kleines Fest. Schafskäse, Tomaten, Oliven, Simit, selbstgemachtes Börek vom Vortag, Marmelade, Honig. Abu haute rein, als hätte er seit Tagen nichts gegessen.
Mama fragte ihn, ob er genug schlafe. Ob er warm genug angezogen sei. Ob er einen sauberen Hoodie brauche.
Er antwortete höflich, mit einfachen Wörtern. Manchmal sah er mich hilfesuchend an, wenn er etwas nicht verstand, und ich übersetzte lächelnd.
Ich mochte es, wenn die zwei miteinander redeten.
Zwei Welten - eine Sprache dazwischen, die fast funktionierte.

Mama streichelte ihm irgendwann über die Schulter. „Sen benim oğlumsun."

Du bist mein Sohn.

Abu sah kurz zu mir.
Dann senkte er den Blick.
„Teşekkürler, teyze."

In seinen Augen lag für einen kurzen Moment etwas wie Rührung.
Aber Abu war Abu - und also nahm er sich direkt noch ein Stück Börek, als wäre nichts gewesen.

„Ich schwöre", murmelte er zu mir, „deine Mutter kocht besser als alle Frauen, die ich kenne."

„Wallah, ich weiß. Du brauchst mich nur wegen Frühstück."

„Niemals. Auch wegen Mittagessen."

Wir lachten. Mama verstand den Witz nicht, aber sie lächelte trotzdem.
Ich lehnte mich zurück, sah die beiden an, spürte den warmen Tee in meinen Händen.
Draußen fuhr ein Bus vorbei, irgendwer hupte.

Kreuzberg wachte auf.
Und ich... ich war zuhause.
Zwischen Chaos, Straße, Vergangenheit. Zwischen RBs Schuldgefühlen, Canims Flirt und den dunklen Jungs aus Neukölln.
Aber genau hier - an diesem kleinen Küchentisch mit wackelndem Bein und duftendem Tee - war alles kurz still.
Alles war in Ordnung.
Wenigstens für diesen Moment.

RAFIQA | abuglitschWhere stories live. Discover now