Kapitel 29

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Hastig eilte Anna die Treppenstufen des Hauses hinauf. Sie wusste, dass Ben dicht hinter ihr war, und dass das Chaos ihn nur bedingt aufhalten würde. Es tat weh, ihn so enttäuscht zu sehen, aber es war richtig gewesen, was sie getan hatte. Obwohl sie mehr und mehr daran zweifelte, dass Ben das jemals einsehen würde. Er war in seiner eigenen Welt so sehr gefangen, dass er Annas Beweggründe nicht einmal verstehen wollte. Wieso also wollte die Blondine immer noch so sehr, dass er ihr zuhörte und ihrer Sache eine Chance gab?

Einer der Wachmänner, die das große Herrenhaus bewachten, stellte sich Anna plötzlich in den Weg. Abschätzend musterte er sie von oben bis unten und warf dann einen Blick hinter sie. Sie traute sich nicht, sich umzudrehen. Wenn dieser Wachmann sie jetzt wirklich aufhielt und Ben sie daraufhin womöglich einsperrte, konnte sie den anderen nicht mehr helfen. In diesem Moment zuckte der Mann vor ihr zusammen, gab ein röchelndes Geräusch von sich und sank in die Knie. Mit weit ausgerissenen Augen sah er sie an, ehe das Blut aus seinen Mundwinkeln tropfte und er haltlos zur Seite fiel. Erschrocken sah Anna vor sich. Ein blutiger Dolch befand sich direkt vor ihrem Gesicht, der von schwarzen Händen gehalten wurde. Rote Augen blitzten ihr entgegen.

„Adrian", flüsterte Anna ängstlich. Sie konnte sich noch zu gut an ihre letzte Begegnung erinnern. Eine Begegnung, die für sie beinahe tödlich geendet hätte. Emotionslos sah Adrian sie an, als ein zweiter Rotäugiger plötzlich aus dem Nichts neben ihm auftauchte und ihm bestimmend die Hand auf die Schulter legte. Allein an seiner Haltung hätte Anna ihn schon erkannt.

„Was tust du?", raunte Kean seinem Kameraden zu, der nur widerwillig das Messer sinken ließ.

„Ich glaube nicht, dass wir ihr trauen können." Keinen Augenblick wendete Adrian seine Augen von Anna ab. Wie konnte ein Mensch allein nur so voller Hass sein?

„Wir müssen uns beeilen", erklärte Anna so ruhig wie möglich, „Es dauert nicht lange, bis alle Wachmänner hier sind." Kean nickte, während sie an ihm vorbei ins Innere des Hauses trat. Sie versuchte dabei nicht auf den zweiten Wachmann zu achten, der leblos am Boden lag. Anna fühlte sich schuldig und sie wusste, dass sie es auch war. Wegen ihr hatten die Schamee Domilus betreten können und wegen ihnen würden Menschen sterben.

Auch gute Menschen.

Anna seufzte. Das würde Ben ihr niemals verzeihen. Hastig lief sie nun durch die Gänge des Hauses auf das Labor zu, als sich plötzlich eine weitere Gestalt ihr und ihren Begleitern in den Weg stellte. Zusammen waren sie zu acht. Fünf weitere Anhänger der Rotäugigen hatten sich ihnen angeschlossen, während die anderen draußen warteten, um ihnen die nötige Zeit zu verschaffen. Kurz vor ihrem Ziel jedoch stellte sich ihnen plötzlich jemand in den Weg.

„Bitte tu das nicht", flehte Anna leise, während Bernard sich vor der Stahltür aufbaute, die sie durchqueren mussten. Der Angestellte von Bens Vater zitterte am ganzen Körper, aber das hielt ihn nicht davon ab, sie aufhalten zu wollen.

„Wie konntest du das tun?", fauchte er ihr entgegen, „Diese... Kreaturen in das Haus holen?"

„Kreaturen?", brüllte Adrian und wollte sich bereits mit seinem Schwert auf Bernard stürzen, als Kean ihn mit einer Handbewegung davon abhielt.

„Bitte, geh aus dem Weg", flehte Anna weiter. Sie mochte Bernard nicht besonders, aber das bedeutete noch lange nicht, dass sie ihm den Tod wünschte. Und der würde ihn ereilen, wenn er sie nicht freiwillig passieren ließ.

„Nein. Der Herr hat verboten, dass jemand hindurch geht." Treu bis in den Tod, dachte Anna grimmig und warf über die Schulter einen Blick zu Kean. Dieser schob sich an ihr vorbei und baute sich vor dem schmächtigen Mann auf, dessen Augen immer größer wurden. Aus dem Zittern wurde ein Beben, das ihm sogar die Stimme raubte. Denn er wurde mucksmäuschenstill.

Just One Touch - Nur eine BerührungWhere stories live. Discover now