Kapitel 13

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Mit einem lauten Stöhnen richtete Anna sich auf. Was war das nur gewesen? Langsam fuhr sie sich an die Stirn und fuhr zischend zurück. Was zur Hölle? Blut klebte an ihren Fingerspitzen. Hatte sie etwa jemand niedergeschlagen? Vorsichtig erhob sie sich und erblickte eine Schüssel mit Wasser, auf die sie sich langsam zubewegte. Ihr Spiegelbild sah genauso aus, wie sie sich fühlte. Bescheiden. An ihrem Haaransatz klebte tatsächlich Blut, das in dünnen Linien über ihre Stirn bis zu ihrer Lippe gelaufen war. Warum hatte das jemand getan und wieso hatte ihr niemand geholfen? Wo war überhaupt ihre Mutter? Anna erstarrte. Sie fuhr ruckartig herum, was ihr Kopf sofort wieder mit fürchterlichen Schmerzen bestrafte. Gabriel war nicht mehr da. Der kleine Krieger befand sich nicht mehr an der Stelle, an der Anna ihn zuletzt gesehen hatte.

„Es ist nicht mehr hier" Mirjas verweinte Stimme drang an Annas Ohren. Im Gegensatz zu ihrem Sohn befand sich die junge Frau noch immer an ihrem Platz. Sie lag dort, als hätte sie eben nicht eines der süßesten Kinder geboren, die Anna jemals gesehen hatte.

„Wo ist er?" Mirja schluchzte auf.

„Sie haben es nach draußen gebracht. Die Wachmänner sind schon da, um..." Sie begann zu weinen.

„Wieso weinst du?", fuhr Anna sie wütend an. „Du hast das alles doch zugelassen, dass sie Gabriel holen."

„Das war nicht Gabriel. Nicht der Gabriel, der geboren werden sollte. Dieses Wesen hat ihn getötet, bevor er bei mir sein konnte." Mirjas Worte schürten die Wut in Anna noch mehr. Wie konnte man so etwas über seinen eigenen Sohn sagen?

„Nur weil ihm eine Hand fehlt? Wenn er ein Rechtshänder wird, ist das gar nicht so ein großes Problem."

„Was hat dir deine Mutter eigentlich beigebracht?" Nun war es Mirjas Stimme, die vor Wut bebte. „Diese Wesen haben keine Grundlage. Sie dürfen und sie können kein Leben unter uns führen, ohne uns komplett zu vernichten."

„Das ist doch Wahnsinn!"

„Wahnsinn ist, dass du die Wahrheit nicht erkennen willst. Eigentlich bist du doch alt genug, um es zu verstehen. Dieses Wesen steht für alles, was wir in den letzten Jahrzehnten bekämpft haben. Um es schlussendlich zu besiegen, müssen wir jetzt Stärke zeigen." Anna schüttelte den Kopf. Egal ob diese Worte in irgendeinem verdrehten Universum Sinn ergaben, diese Menschen töteten gerade ein Kind. Ein Baby. Ein Neugeborenes, das niemals die Chance auf ein Leben gehabt hatte. Ohne Mirja weiter zu beachten, stürmte Anna aus dem Zelt. Ihr Kopf dröhnte, während sie auf die Menschentraube zusteuerte, die sich nicht weit von dem Geburtszelt gebildet hatte. In einiger Entfernung konnte Anna fünf schwarz gekleidete Wachmänner ausmachen, doch Ben war nicht unter ihnen. Erleichtert seufzte die Blondine auf, als sie plötzlich eine Hand an ihrer Schulter spürte. Lydia.

„Wir sollten deine Wunde versorgen." Anna schlug die Hand ihrer Mutter weg, bevor sie ihren Kopf überhaupt berühren konnte.

„Wo ist Gabriel?" Lydia seufzte.

„Anna..."

„Nein. Wo ist Gabriel?"

„Es ist zu spät." Anna stürmte an ihrer Mutter vorbei und drängte sich durch die Menschenmenge hindurch. Sie hörte einige erschrockene oder protestierende Ausrufe, aber das war ihr egal. Sie musste zu Gabriel. Sie musste dieses Kind doch retten, wenn es sonst keiner tat. Dann sah sie es. Gabriel lag auf einem kleinen Mauervorsprung und direkt vor ihm stand ein Wachmann, der dem kleinen Wesen seine Waffe direkt ins Gesicht hielt. Sie wollte gerade auf sie zu rennen, da erklang der Schuss. Anna spürte die Tränen, die ihre Wangen hinunterliefen, als Gabriels Arme, die er eben noch glücklich dem fremden Mann entgegen gehalten hatte, unkontrolliert nach unten fielen.

„Nein!", schrie sie verzweifelt auf, als sich der Wachmann ihr auch schon zuwendete. Ben. Ihr Ben sah ihr mit einem Blick entgegen, den sie von ihm nicht kannte. Nicht kennen wollte. Kleine Blutspritzer hatten sich in sein Gesicht verirrt, als er auch schon die Waffe in seinen Holster steckte, seinen Blick jedoch nicht von ihr abwendete.

Just One Touch - Nur eine BerührungWhere stories live. Discover now