Gnadenlose Wahrheit

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Dröhnendes Schweigen antwortete ihm. Sein stoßweiser Atem, das leise Zischen und Surren seines Körpers sowie das tiefe Brummen und metallische Klappern der aufmarschierenden Sicherheitsmannschaft waren die einzigen wahrnehmbaren Geräusche. Selbst seine KI hielt endlich mal die Klappe und ließ ihn im Saft seiner unsteten Gedanken schmoren.

Vermutlich war das hier eh mal wieder nur ein Fake. Eine Lüge, mit der ihn Red und Aiko ausnutzten, genauso wie alle anderen seiner Wegbegleiter. Lena – auch wenn sie damals fest hinter dem Regime der Bunkerführung stand und sie viele Diskussionen deswegen hatten – war die Einzige, die immer offen zu ihm war. Die Einzige, die ihn nicht ausgenutzt und belogen hatte. Trotz der bescheidenen Verhältnisse im Bunker waren sie ehrlich zueinander gewesen und hatten versucht, ihrem Sohn Kim ein möglichst normales Leben zu ermöglichen.

»Lena?«, wiederholte er und schlug mit der Faust auf den massiven Stahl. »Bitte. Falls du hier bist, sagt was. Ich will nur wissen, dass es dir und Kim gut geht.«

Das war albern. Vermutlich sprach er zu einer fremden Familie, die ihn für einen bekloppten Psychopathen hielt, genau wie seine KI. Red hatte ihn belogen und einfach nur loswerden wollen. Mehr nicht. Sie war nicht mehr seine frühere Kameradin, bei der er zwischenzeitlich unsicher gewesen war, ob zwischen ihnen mehr existiert hatte als nur Freundschaft.

Aber das war egal. Er hatte sich erneut verladen lassen und das Spiel verloren. Lena und Kim würden in wenigen Stunden filetiert und ihm fehlte die Möglichkeit, einzugreifen. Weder wusste er, wo sie sich tatsächlich aufhielten, noch wie er es verhindern konnte. Langsam sackte er auf die Knie und drückte seine Stirn auf das kalte Metall. Tränen brannten in seinen Augenwinkeln und liefen in heißen Bahnen die Wangen hinab. Wenigstens zu dieser menschlichen Reaktion war er noch fähig, wenn ihm schon alles andere genommen worden war.

»Lena ... bitte ...«, flüsterte er erneut, aber die Stimme versagte ihm.

»Das Haus ist umstellt«, erscholl die unvermeidliche, blecherne Ansage, auf die er die ganze Zeit gewartet hatte. »Kommen Sie mit erhobenen Händen raus.«

Langsam richtete er sich wieder auf und warf einen letzten Blick auf die Stahltür, die diesem ungerührt standhielt. Am Ende drehte er sich um und schlurfte in Richtung Ausgang.

Gab es eine Chance Lena und Kim zu retten? Könnte er rechtzeitig zu Violette gelangen, um das Schlimmste zu verhindern? Er wusste nicht, wo er sie finden konnte. Selbst wenn, wie sollte er dort hinkommen? Sie waren hier ewig von den Shadows entfernt. Zu weit, um zu laufen. Sollte er versuchen, Red nochmals aufzuspüren? Oder hatte er sie wirklich in seinem Wahn umgebracht, wie seine KI behauptete? Langsam kamen ihm ernsthafte Zweifel. Bis vor wenigen Minuten hatte ein glasklarer Weg vor ihm gelegen: Immer vorwärts gegen alle Widerstände, bis er Lena und Kim rettete. Dieser Pfad war ein Irrweg. Eine Sackgasse.

Jetzt blieb für ihn nur die Frage, ob er widerstandslos aufgab oder sich mit einem großen Knall verabschieden sollte. Alternativ könnte er nochmals probieren zu entkommen. Einen neuen Anlauf wagen. Aber wenn er ehrlich war, fehlte ihm dafür die Kraft. Im wahrsten Sinne des Wortes. Seine Batterie würde nicht mehr ewig halten. Und sein Ziel war genauso unerreichbar geworden, wie der Versuch, den Mond mit bloßen Händen vom Himmel zu holen.

»... Nein! Was tust du? Du kannst doch nicht ...«, rief eine männliche Stimme hinter ihm.

Irritiert drehte er sich um. Die Tür des Schutzraumes war schulterbreit geöffnet und dort stand sie: Lena. Sein Schatz, so, wie er sie in Erinnerung hatte. Es schien schon ein Menschenleben her zu sein, dass sie sich das letzte Mal gegenübergestanden hatten. Lena, mit ihren glatten blonden Haaren und kornblumenblauen Augen. Sie hatte ihre Arme vor der Brust verschränkt und trug kurze Satinshorts mit passendem T-Shirt und weißem Morgenmantel.

Das Monster Emeralds (ONC 2024)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt