Warmes Grauen

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Das gemeinsame Kreischen von Frau und Kind vermengten sich mit dem blutigen Matsch, der hinter dem Mann an die Wand klatschte, zu einem Mahlstrom des Grauens. Der tote Körper des Rothaarigen hielt sich noch einige Sekunden aufrecht, als könne er nicht fassen seiner Steuerzentrale beraubt zu sein, bevor er zusammenbrach. Die anderen beiden Männer waren an die Wand zurückgewichen und starrten aus aufgerissenen Augen seinen Kameraden in dem Wissen an, selbst die Nächsten sein zu können.

Melvin schluckte, aber da ihm der menschliche Körper fehlte, konnte ihm nicht übel werden. Seine Möglichkeiten, eine Gänsehaut zu bekommen, waren ebenfalls begrenzt. Hinzu kam, dass er mit dieser Truppe bereits seit drei Monaten im Einsatz war. Es war nicht der erste brutale Aussetzer Bloodhounds und es würde vermutlich nicht der letzte sein. Hatte Melvin zu Beginn noch versucht, seine Begleiter von willkürlichen Tötungen und Folterungen abzuhalten, musste er inzwischen einsehen, dass er dazu nicht in der Lage war. Seine innere KI verhinderte, dass er sich seinen Kameraden in den Weg stellte, sodass er dazu verdammt war, das Grauen mit anzusehen. Vielleicht verabreichte sie ihm auch Medikamente, die seine Gefühlswelt abstumpfen ließen. Er wusste es nicht. Und da er sich an sein früheres Leben nicht erinnerte, konnte er nicht beurteilen, ob diese Gefühlskälte normal für ihn war oder nicht. Aus Sicht ihres Captains schien der Zweck jedes Mittel zu heiligen. Für die sadistische Brutalität der anderen Soldaten hatte es nie mehr als eine Ermahnung gegeben. Trotzdem hatte Melvin nur im Kampf Gegner getötet und es bei den Befragungen maximal bei Drohgebärden belassen.

»Das ist nicht ganz korrekt«, erinnerte ihn die KI, »letzte Woche hast du dem alten Rinderzüchter ein Ohr abgeschnitten.«

Das war ein Versehen, der hatte gezuckt.

»Nein, so war es nicht. Und das weißt du.«

»So, lads«, fuhr sein Kamerad im lockeren Plauderton fort und unterbrach seine Gedanken. Inzwischen war das Kreischen zu einem Wimmern abgeklungen. »Da wolln wa ma schaun, wassa uns erzähla könn, aye? Also: Wo is das verfickte Waffnlager?«

Die beiden schwiegen mit verkniffenen Mienen und starrten wortlos zurück.

»Razor?«, wendete er sich an Melvin und nutzte ausnahmsweise nicht dessen Schmähnamen. »Würd ma sagn, is Zeit um se was mit deina Krallen zu kitzeln, aye?«

War klar. Kaum gingen Bloodhound die Ideen aus, sollte er den gewissenlosen Kampfroboter mimen. Aber gut, wenn das half, weiteres Blutvergießen zu verhindern, warum nicht. Also ließ er die Klingen aus allen Fingern springen und bewegte sich langsam auf die beiden zu. Sein mechanischer Körper mit den glühenden Augen, dessen Oberfläche hier einen mattschwarzen Ton angenommen hatte, musste einen diabolischen Anblick bieten. Hoffentlich kam einer von denen zur Besinnung und redete.

»Nimmt den Älteren auf der rechten Seite«, merkte seine KI an.

Was sollte das für einen Unterschied machen? Die zitterten beide am ganzen Leib.

»Ja, aber der Linke schaut ständig zu Frau und Kind. Vermutlich bedeuten sie ihm was. Für den haben wir noch zwei weitere Druckmittel.«

Vergiss es. Keinesfalls würde er sich an Frau oder Kind vergehen. Er wendete sich an den Rechten, mit den schwarzen Haaren und dem Bauchansatz.

Melvin drückte ihm seine Krallenhand auf die Brust, sodass sie Klingenspitzen die Kleidung durchdrangen und in die Haut ritzten, und befahl: »Sprich. Das Waffenlager. Wo ist es?«

»Hattest du nicht eben gemeint, dass du es bei Drohungen belässt?«, fragte die KI nach.

Das ist eine Drohung. An den Mann gewandt: »Ich zähle bis drei. Eins ... zwei ...« Mit jeder Zahl verstärkte er minimal den Druck. Das verschwitze Gesicht des Mannes verzog sich zu einer schmerzverzerrten Grimasse. Aber er schwieg und hielt seinem Roboterblick stand. »Deine letzte Chance ...«

Das Monster Emeralds (ONC 2024)Where stories live. Discover now