Staubige Patrioten

33 8 29
                                    

Ohne zu zögern, hechtete er mit einem weiteren Sprung vorwärts durch den rettenden Spalt in die dahinterliegende Dunkelheit. Das Rummsen der Stahltür erklang maximal eine halbe Sekunde vor dem deutlich lauteren Rumms der Granate dahinter. Er hatte es geschafft.

In diesem Moment blendete ihn Helligkeit und der unverkennbare Lauf eines Sturmgewehres erschien in seinem Gesichtsfeld.

»Keine. Verdammte. Bewegung«, knurrte eine tiefe, männliche Stimme vor ihm, »'n Mucks und du bist tot, Chummer.«

»Ey, Roger«, rief aus der Finsternis hinter dem Licht eine Frauenstimme. »Das is ne Maschine. Vermutlich is der Schädel nur Deko und das Gehirn sitzt in seim Arsch.«

Mehrstimmiges Gelächter folgte und hallte von den Wänden wider.

»Sie überspielen ihre Angst«, meldete sich seine KI. »Laut Stimmenanalyse fünf Personen in einem langen Korridor. Leider fehlt die Sensorik aus deinem Visier für eine detaillierte taktische Analyse.«

Nanu, hilfst du mir doch wieder? Ich dachte, du willst mich tot sehen. Aber falls die KI recht hatte, würde er mit seinen Gegnern problemlos fertig werden – sofern man ihm nicht direkt ins Gesicht schoss.

»Ich will nur verhindern, dass wertvolles Regierungseigentum in die Hände der Terroristen fällt. Am besten erledigst du sie sofort, solange sie dich noch für einen Überläufer halten. Darin hast du ja schon Übung.«

»Und?«, fragte ihn erneut der Mann, während er weiterhin von dem Licht geblendet wurde. »Bist ne geistlose Kampfmaschine odern Mensch?«

»Erst mal vielen Dank, dass ihr mich reingeholt habt. Ich heiße Melvin und ja, ich bin ein Mensch, auch wenn der größte Teil meines Körpers künstlich ist«, antwortete er ruhig. »Hätte ich sonst die Frau und den Jungen gerettet? Außerdem hättet ihr mich einfach auf der anderen Seite verrecken lassen können. Die letzte Granate hätte mich voll erwischt.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, erhob Melvin sich trotz warnender Rufe. Wenn sie ihn erschießen wollten, hätten sie ihn nicht retten müssen. Und wenn er diese armselige Truppe hätte erledigen wollen, wäre das schon längst passiert.

Er musste sich ducken, um nicht an die Decke zu stoßen. Offensichtliche Beleuchtung, Kabelschächte oder Ähnliches gab es nicht. Die Wände bestanden aus kahlem Beton. Das einzige Auffällige war ein verwaschener, grünbrauner Streifen, der sich unregelmäßig wie eine natürliche Verfärbung im Stein auf Schulterhöhe entlangzog. Vor ihm stand ein kräftig gebauter Mann in den Vierzigern, mit dunklem Vollbart, wirrem Haar und wachsamen braunen Augen. Sein Sturmgewehr zielte weiterhin auf Melvins Gesicht. Die Frau, die vermutlich gesprochen hatte und die grelle Taschenlampe auf ihn richtete, verharrte hinter dem Mann mit gerunzelter Stirn. Ihr Haar war igelig kurz geschoren, wie beim Militär, und aus ihren herabgezogenen Mundwinkeln ragte ein Zahnstocher, der von links nach rechts wanderte. Dahinter fanden sich drei weitere Männer mit fleckigen, unrasierten Gesichtern. Alle in pseudomilitärische Kleidung gehüllt, die eher an Outdoorklamotten erinnerte. Jeder trug mindestens eine Handfeuerwaffe an der Hüfte und hatte ein Gewehr griffbereit geschultert. Mit ihren starrenden Blicken ähnelten sie den drei Männern, die vorhin im Schlafzimmer ihr Leben gelassen hatten. Das Pärchen vor ihm, das hier scheinbar das Sagen hatte, trat deutlich selbstbewusster auf.

Der Bärtige zögerte noch ein paar Sekunden, dann senkte er sein Sturmgewehr und spuckte auf den Boden. »Ach, Scheiße, was solls. Ich bin Roger. Undas is Sue.« Er deutete mit dem Daumen auf die Kurzhaarige. »Die drei da vorn sind Carl, Henry und Brutus. Obwohl wir vermuten, dass es eher der Name von seim Hund war. Undie beiden davorn, die du gerettet hast, sind Pam und der kleine Elliot.«

Hinter dem Trupp verlor sich der nahezu gut zwei Schritt messende, schnurgerade Betonkorridor in der Dunkelheit. Im Dämmerlicht schwach zu erkennen waren die Silhouetten von Frau und Kind, die sich an den Händen hielten und abwartend an die Mauer drückten.

Das Monster Emeralds (ONC 2024)Where stories live. Discover now