Körperliche Geschäfte

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»Hey, Robbi. Wach auf«, empfing ihn die Stimme des Rothaarigen im Reich der Lebenden – sofern man bei seinem Körper, der zu Neunzigprozent künstlich war, von »lebend« sprechen durfte.

Mühsam öffnete Melvin seine Augen. Er selbst. Nicht seine durchgeknallte KI. An der Szenerie hatte sich wenig verändert: Nach wie vor hielten ihn die Stahlklammern gefangen. Allerdings spürte er seine Glieder wieder und konnte Kopf und Finger bewegen. Der Mann saß auf einem Barhocker neben ihm und betrachtete ihn mit einem forschenden Blick.

»Danke, dass du mich nicht zerlegt hast«, antwortete Melvin.

Das war vielleicht nicht die originellste Antwort, aber der andere saß eindeutig am längeren Hebel. In diesem Fall war der Hebel die graue Box mit dem roten Knopf, mit dem er ihm jederzeit den Saft abdrehen konnte. Und der Daumen ruhte darauf, bereit, ihm das Licht auszuknipsen. Allerdings gab es noch zwei weitere, kleinere Druckknöpfe auf dem Kasten. Ein grüner und ein blauer.

»Sorry, Mann. Das war echt spooky. Also nicht, dass dieser Anblick«, er öffnete seine Arme, »wirklich beruhigend wäre. Die erste Stimme – das warst nicht du, oder?«

»Nein«, stöhnte Melvin und schloss kurz seine Augen. »Es war meine KI, die gesprochen hatte. Aber jetzt bin ich wieder ich.«

»Aha.« So ganz schien der Mann ihm nicht zu trauen. Kein Wunder. »Ich heiße übrigens Ben. Und du bist wirklich Melvin, oder? Der Melvin aus dem Bunker-Stream?«

»Ja, Ben. Tatsächlich.« Er versuchte, seinen Kopf zu drehen, um sein Gegenüber genauer zu betrachten. »Ähm ... hättest du etwas dagegen, mich loszumachen?«

»Damit eine KI-gesteuerte Killermaschine in meiner Werkstatt herumspaziert? Nee, das lassen wir mal lieber. Außerdem fände der Don das nicht so cool, schätze ich. Wie kommt es, dass du in diesem ... Ding ... steckst?«, wollte Ben wissen.

Melvin beschloss, ehrlich zu sein. Im Moment hatte er nichts zu verlieren und alles, mit dem er das Vertrauen seines Gegenübers gewinnen konnte, wäre hilfreich. »Nach unserer misslungenen Befreiungsaktion am Bunker-Hochhaus ist der Hubschrauber abgestürzt. Man hatte mir nur die Wahl gelassen, mich für über hundertdreißig Jahre beim Militär zu verpflichten – oder die gleiche Zeit alleine mit meinen Gedanken im Kryotank zu verbringen. Anschließend wäre ich dann trotzdem gestorben.«

»Abgefahren. Aber das Hochhaus ist eingestürzt, oder? Und in den News hieß es, keiner hat überlebt.« Kurz hielt er inne. »Hm ... Zumindest Letzteres war wohl nicht ganz korrekt.«

Melvin stöhnte auf. »Du hast ja keine Ahnung. Alles war gelogen. Alles. Mein ganzes Leben, mein Zuhause, meine Freunde, meine Familie ... alles nur Lügen. Mir hat man gesagt, die Bunkerbewohner wären schon vor unserem Befreiungsversuch nach Kuba ausgeflogen worden. Und in den letzten Wochen davor wurden nur noch Wiederholungen gezeigt. Das habe ich selbst gesehen, während wir uns in den Shadows versteckt hatten.«

»Wiederholungen? Ausgeflogen nach Kuba?« Sein Gegenüber runzelte die Stirn. »Und wer ist wir?«

»Meine Freundin Cathrine und ich. Wir wollten unsere Freunde und Familien befreien, die man aus dem Bunker geholt hatte. Mehr nicht. Was«, Melvin nickte zu den Stahlbändern, »kann ich tun, um dich zu überzeugen, die Dinger loszumachen?«

»Sorry. Das geht nicht.« Vehement schüttelte er seinen roten Schopf. »Wie gesagt: Auftrag vom Don. Zerlegen und Verkaufen. Wenn ich ihn hintergehe und dich laufen lasse ... na ja ... dann liege ich vermutlich demnächst dort an deiner Stelle und werde ebenfalls zerlegt.«

Hm ... was konnte er Ben anbieten? Ihm fiel etwas ein. »Okay, aber dein Boss ...«

»... Auftraggeber ...«, verbesserte ihn Ben.

Das Monster Emeralds (ONC 2024)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt