Stimme

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"Und ich würde am Rande einer verrückten Klippe stehen. Ich müßte alle festhalten, die über die Klippe hinauslaufen wollen - ich meine, wenn sie nicht achtgeben, wohin sie rennen, müßte ich vorspringen und sie fangen. Das wäre alles, was ich den ganzen Tag lang tun würde. Ich wäre einfach der Fänger im Roggen. Ich weiß schon, daß das verrückt ist, aber das ist das einzige, was ich wirklich gern wäre. Ich weiß natürlich, daß das verrückt ist." Piep, Piep, Piep. Wieder diese warmen Hände die meine Hand berühren. Piep, Piep, Piep. Schluchzen erfüllte den Raum und mischte sich unter das Piepsen.
"Du fehlst mir so" Piep, Piep, Piep. Diese Stimme höre ich jeden Tag. Er kommt und liest mir vor. Ich mag die meisten Geschichten nicht, aber seine Stimme. Piep, Piep. Sie beruhigt mich. Aber sie ist so traurig. Er weint oft. Wegen mir? Piep. Ich wünschte ich könnte ihm sagen dass alles gut wird. Dass es mir gut geht. Piep Piep. Dass ich aufwachen will. Dass ich es wirklich versuche. Piep. Piep. Piep. Dass ich es versuche, aber nicht kann. Mein Körper ist taub. Alles ist so taub. Piep. Außer... außer dieser Finger. Piep. Ich kann ihn bewegen. "Mickey?" Er kennt meinen Namen. Piep. "Mickey hörst du mich?" Ja ich kann dich hören. Piep. Piep. Aber ich kann mich nicht bewegen. Taub. Piep. Die Stimme kommt mir so vertraut vor. Rede weiter. Sprich mit mir. Bitte. Sonst holt es mich wieder. Piep. Der Strudel holt mich wieder. Das Schwarz und zwischendrin dieses nervige Piepsen. Bitte, Fremder. Sprich mit mir, dass ich nicht ins dunkel gezogen werde.
"Mickey?" Die Stimme klang verzweifelt.
"Mickey?" Jetzt klang sie anders.
"Mickey?" Seltsam. Weiblicher.
"Mickey!" Er öffnete die Augen und sah Mandy vor sich, die ihn am Arm schüttelte. "Komm schon Arschgesicht. Wir müssen aussteigen." Perplex sah er sie an. Hatte er gerade von seinem Koma geträumt?
Sie stiegen aus und liefen die letzten Meter bis nach Hause. Mickey war noch nicht besonders gut zu Fuß, weswegen sie langsamer waren als sonst.
"Komm schon. Es wird gleich regnen. Beeil dich." Rief seine Schwester über die Schulter. Die ersten Tropfen berührten Mickeys Gesicht und er versuchte schneller zu gehen. Einen Moment später wurde der Regen heftiger und prasselte in dicken Tropfen auf die Straße.
"Komm schon, beeil dich"
Der Flashback traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Es war seine eigene Stimme die er im Kopf hörte, aber er sprach nicht. Ein Bild flackerte auf. Er sah über die Schulter nach oben und sah einen rothaarigen Jungen mit nassen Haaren, die ihm im Gesicht klebten. Ein lächeln auf den Lippen.
Mickey blieb stehen. Ein stechender Schmerz hämmerte in seinem Schädel und er stützte die Hände auf die Knie. Er war mittlerweile komplett durchnässt aber: er erinnerte sich an das erste Date mit Ian. Immer mehr Bilder von diesem Tag flackerten vor seinem inneren Auge auf. Eine Imbissbude, ein Rennen im Park, Regen, eine Bushaltestelle, ein Kuss. Warme weiche Lippen die ihm dieses Gefühl gaben, geliebt zu werden. Diese Gefühle fluteten seinen Körper, ein anderer Kuss. Ein Kuss während laute Musik spielte. Ein Club? Stimmengewirr mischte sich zwischen die Bilder. Seine Augen geschlossen um die Bilder klar sehen zu können. Er hielt sich die Ohren zu um die Stimmen klar hören zu können, doch die Bilder waren verschwommen und die Stimmen waren dumpf. Keine Chance alles klar zu erkennen. Das einzige was er klar und deutlich wusste war, dass Ian für ihn da war und dass er ihn liebte.
Er war mittlerweile auf dem Bürgersteig zusammengesunken und saß auf dem Randstein. Den Kopf zwischen die Knie gesteckt und völlig durchnässt. Plötzlich fühlte er warme große Hände an seinem Rücken und er hörte ekne der Stimmen klarer als alle anderen.
"Mick." Flüsterte die Stimme in sein Ohr. Eine vertraute Stimme. "Mickey" Sagte die Stimme wieder und strich beruhigend über seinen Rücken. Er musste die Bilder loslassen. Er wollte nicht, wollte sie erst klarer sehen, konnte aber nicht. Er musste jetzt loslassen.
Ruckartig hob er den Kopf, Schmerz durchfuhr seinen Körper. Er drehte den Kopf und sah in diese grünen Augen, die ihn weich und sanft ansahen. Die Bilder waren verschwunden. Die Stimmen waren verschwunden. Was zurückbleiben war das pure Gefühl der Liebe und der stechende, hämmerte Schmerz in seinem Kopf.

22 first dates - remember meWhere stories live. Discover now