IV. Kapitel

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Alberta, Kanada
28. Dezember

  
   Skye

   Unheilbar krank.

   Die Worte überschlagen sich immer wieder in meinem Kopf und ich kann die elende Stimme einfach nicht zum Schweigen bringen.

   Das ist es, was ich für Lea bin.

   Das ist es, was ich für Mom bin.

   Und das ist es, was ich jetzt auch für Ash bin.

   Es ist alles, was ich bin.

   Die Krankheit definiert, vereinnahmt und verschlingt mich am Ende, wie ein unaufhaltsames Monster.

   Ja, so nenne ich sie: Das Monster.

   Wie ein Raubtier lauert es in meinem Rücken und schlägt unerwartet zu, wenn ich es am wenigsten erwarte.

   Manchmal gräbt es seine Krallen so tief in mein Fleisch, dass ich vor Schmerz aufschreien möchte und ein paar Mal hat es mir bereits fast das Leben genommen.
   Ich bin seine Geisel und es gibt für mich keinen Weg zu entkommen.
   Nur abzuwarten und zu hoffen.

   Nein, das Hoffen überlasse ich Lea und Mom, denn ich weiß, dass es keine Hoffnung gibt.

   Unheilbar krank.

   Ich presse mich mit dem Rücken gegen meine Zimmertür und versuche, die Tränenflut zurückzuhalten, die nur eine dünne Staumauer noch aufhält.   
   Der See in meinem Inneren scheint endlos.
   Mit aller größter Mühe stämme ich mich gegen die Staumauer, versuche, den Wassermassen zu strotzen, der Anspannung standzuhalten.

   Wie leicht wäre es, alles rauszulassen.

   Wie leicht wäre es, die unaushaltbare Spannung die auf der Staumauer lastet für einen Moment zu lindern.

   Wie ferngesteuert stehe ich auf und gehe zu meinem Kleiderschrank, öffne die Schublade mit der Unterwäsche und taste ganz hinten auf dem Grund herum, bis ich die scharfe Kante an meinen Fingern spüre.

   Die Rasierklinge.

   Ich taste noch ein bisschen weiter, denn das ist es nicht, was ich gerade brauche.

   Da.

   Mit zitternden Fingern hole ich das Feuerzeug heraus, die Büchse der Pandora.

   Lange habe ich es nicht mehr getan.

   Aber dass Lea wieder da ist und Ash mitgebracht hat verändert alles.
   Ich könnte sie verlieren.
   Das ganze halbe Jahr über hatte ich solche Angst, sie zu verlieren, dass ich es nicht geschafft habe, meine Angst in Worten auszudrücken, nur in Zurückweisung.

   Normalerweise benutze ich die Rasierklinge, doch heute reicht das nicht mehr aus.
   Um die unerträgliche Anspannung loszuwerden und den Staudamm einzureißen brauche ich mehr als eine Klinge.
 
   Ich muss den gottverdammten Staudamm niederbrennen.

ASH & SKYEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt