III. Kapitel

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Alberta, Kanada
28. Dezember


Ash

Irgendwie mochte ich die Dunkelheit schon immer.
Sie sorgt dafür, dass Du alles nur noch in Grautönen siehst, statt in Schwarz und Weiß.
Wenn es so düster ist, dass du nicht einmal mehr deine eigene Hand vor Augen sehen kannst, dann gibt es immer noch Worte.
Wir hören auf einmal nur noch, was eine Person zu sagen hat, ohne uns ein Bild von ihr zu machen oder sie vorschnell zu verurteilen.
Ich mag, dass unsere Körper anonym sind und nur noch unsere Gedanken existieren.

Und trotzdem verstehe ich, dass manche Menschen auch Angst vor ihr haben - vor dem, was sie da draußen nicht sehen können.

Vor den Gefahren.

Mein Dad hat mich mal gefragt, wieso ich nur mit Kohle zeichne.

Wieso ich nie Farben benutze.

Nun, während andere Menschen finden, dass Schwarz keine Farbe ist, sehe ich das alles anders:
Nur durch Schwarz leuchtet das Weiß in meinem Bild besonders hell.
Nur durch die Schwärze der Nacht können wir überhaupt den Mond, die Sterne und and manchen besonders kalten Winternächten die Polarlichter am Himmel strahlen sehen.

Wenn Skye eine Farbe wäre, dann wäre sie nachthimmelschwarz.

„Ash?", findet Leas sanfte Stimme den Weg in meine Gedanken.

Ich löse meinen Blick von der Dunkelheit hinter dem Fenster und richte ihn auf Lea.
Sie steht im Eingang zur Küche und das Licht in ihrem Rücken zeichnet ihre Silhouette nach.
Ihr Gesicht liegt im Schatten.

„Ja?", antworte ich.

„Mom ist schon hochgegangen. Sie ist müde vom Tag."

„Es ist früher Samstagabend - alles in Ordnung?", frage ich.
Auch ohne Leas Gesichtsausdruck zu sehen spüre ich, wenn etwas bei ihr nicht stimmt.
Ich könnte auch noch blind in ihr lesen wie in einem offenen Buch.

„Ach, es ist nur wegen Skye. Sie will nicht mehr zu ihrer Therapeutin gehen. Das ist die letzte in unserem Umfeld, alle anderen haben früher oder später das Tuch geworfen oder wurden von Skye als unbrauchbar abgestempelt."

Sie seufzt schwer, und ich weiß, es kommt aus dem Inneren ihrer Seele.

„Lea-Land, du machst dir viel zu viele Sorgen."
Ich fixiere das Mädchen, das ich liebe:
„Ich wünschte, ich könnte in deinen Kopf kriechen und dieses Räderwerk abstellen... Es ist ja für nichts gut und du machst dich dadurch nur selbst kaputt."

Lea umrundet das gemütlich-abgenutzte Ledersofa, auf dem ich sitze, seit sie mit ihrer Mutter für ein Vier-Augen-Gespräch in der Küche verschwunden ist.
Statt sich zu mir zu setzen, hockt sie sich vor den riesigen antiken Kamin, der aussieht, als wäre er seit Jahrzehnten nur noch Dekoration.

„Um Skye kann man sich nicht zu viele Sorgen machen."

Ihre Stimme klingt so schneidend, wie sich die kanadische Winterluft auf der Haut anfühlt.

„Aber das verstehst du nicht, und ich meine, wie auch... du kennst sie schließlich nicht."

Sie nimmt ein paar Holzscheite und etwas altes Zeitungspapier und beginnt sie routiniert zu schichten.

Ich setze schon an, etwas zu sagen, doch sie kommt mir zuvor:
„Ich war ein halbes Jahr an der Uni und in der Zeit nur zwei oder drei Wochenenden hier. Das ist die längste Zeit, die Skye und ich je getrennt waren."
Kurz füllt Stille den Raum.
„Und bei den paar Telefonaten war sie immer total abweisend."

Mit einem leisen Zischen entzündet sie ein Streichholz und der Geruch nach Rauch steigt mir sofort in die Nase.
Er erinnert mich immer an die Weihnachtszeit zu Hause und obwohl Weihnachten bereits vorbei und ich nicht mehr zu Hause bin, inhaliere ich den Duft automatisch.

„Habt ihr seit deiner Rückkehr gesprochen?"

Mir wird das Gewicht meiner Frage erst bewusst, als ich spüre, wie es jegliche Luft zum Atmen aus dem Raum verdrängt.

Lea entflammt das Zeitungspapier und das hell leuchtende Feuer greift aggressiv um sich, steckt die größeren Holzscheite an.

„Nein. Sie ist immer nur auf ihrem Zimmer. Und das heute Morgen hast du ja mitbekommen", erwidert Lea ausdruckslos.

Sie versucht, ihre Frustration hinter einem neutralen Ton zu verbergen, doch sie strahlt in hochfrequenten Wellen von ihr aus.

„Sie ist ein Teenager mitten in der Pubertät - denkst du nicht, das ist normal?", frage ich, um die aufgeladene Stimmung zu neutralisieren.

Auch wenn Skye das komplette Gegenteil von normal ist, aber das würde ich ihr niemals sagen.

Langsam dreht Lea sich um und diesmal ziehen sich ihre feinen Augenbrauen verärgert zusammen, sodass ihre Stirn in Falten liegt und ihre Stupsnase sich leicht kräuselt.
Das Feuer lässt ihre goldenen Haare in Flammen stehen und ich bereue meine Worte jetzt schon, obwohl ich nichtmal weiß, wo mein Fehler lag.
Normalerweise fühlt es sich wie das Leichteste der Welt an, mit Lea zu reden.
Aber in diesem Haus ist die Luft mit leichtentzündlichem Gas gefüllt und jeder noch so kleine Funke könnte eine todbringende Explosion auslösen.

„Skye ist kein normaler Teenager. Ich habs dir eben schon gesagt, du hast einfach keine Ahnung! Deine Ratschläge bringen mir gar nichts, sie machen mich nur wütend. Bitte sag einfach nichts, wenn du nicht weißt, wovon du redest."

Lea holt tief Luft und schließt für einen Moment die Augen.
Ich spüre ein Gefühl der Ungerechtigkeit in meiner Brust brennen, schließlich wollte ich nur helfen. Doch bevor ich etwas zu meiner Verteidigung sagen kann, kommt sie mir erneut zuvor:
„Es tut mir leid. Ich will gar nicht streiten. Und ich möchte ja, dass du Skye besser kennenlernst und ihr beide euch gut versteht. Aber du musst wissen..."

Sie stockt für einen Moment, als würde sie sich an den folgenden Worten die Zunge heiß verbrennen.

„...Skye ist unheilbar krank."

In meinem Kopf ist eine gähnende Leere, meine letzten Gehirnzellen versuchen, das Unerwartete im Nachhinein erwartbar zu machen.

Was natürlich unmöglich ist.

Doch dann - erste Puzzleteile beginnen, sich in der Leere zusammenzusetzen.
Langsam entsteht ein grauer Schemen von einem Bild, das noch immer in Dunkelheit getaucht ist.

Und während ich auf einmal den langen Schatten zu erkennen meine, der von Skye ausgehend auf Leas Leben und das ihrer Mom fällt, sehe ich tatsächlich einen schmalen Schatten am oberen Treppenrand stehen.

Doch innerhalb eines Blinzelns ist er bereits wieder verschwunden.

ASH & SKYEOnde as histórias ganham vida. Descobre agora