Kapitel 31 - Briefe

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Kapitel 31 - Briefe

– Paul –

La Push, Mai 2010

Die Wochen und Monate vergingen und jeden Tag starb ich wieder einen kleinen Tod. In menschlicher Form war der Schmerz nicht mehr zu ertragen. Gelenkt von unerwiderter Liebe steuerte ich demnach, gemeinsam mit Jake, stets in Wolfsform ziellos durch die Wälder.

Doch selbst meinem Wolf war mein Zustand äußerlich anzusehen. Als hätte Julie meinen Selbsterhaltungstrieb mit sich nach LA genommen, wollte und konnte ich nichts mehr zu mir nehmen. Zwar zwang mich Sam immer wieder und flößte mir ein wenig stärkende Nahrung ein, doch trotzdem konnte man beobachten, wie ich zunehmend schwächer wurde.

Ich war nicht mehr ich. Die Tage zogen zwar vorbei, doch es kam kein Licht.
Niemals hätte ich mir erträumen lassen, dass ich jemals einen solchen Schmerz spüren würde – und dass der Ursprung dessen Liebe sein würde, obwohl ich niemals so enden wollte.

Wieder einmal lief ich mit Jacob durch die dichten Wälder entlang der Westküste und dachte darüber nach, ob mein Vater vielleicht doch von Anfang an recht gehabt hatte.

La Push, August 2001

Ich bin der festen Überzeugung, dass es Menschen gibt, die keine Kinder miteinander bekommen sollten. Meine Eltern waren solche Menschen - und sollte der Unglücksfall doch eintreten, dann sind Leute wie ich das Resultat.

Seit nun mehr vier Jahren tobte zwischen meiner Mutter und meinem Vater ein Krieg, der großteils auf Schreiben von Anwälten basierte. Grund dessen war aber keineswegs ich oder das Sorgerecht für meine Wenigkeit – das hatte meine Mutter nämlich gar nicht schnell genug ausschlagen können.
Stattdessen wurde um Besitztümer gestritten, Gelder eingeklagt und Schimpftiraden losgelassen.

Auch an diesem Abend saß Dad wieder fassungslos in der Küche, gebeugt über einem der Briefe von Mums Anwalt – einem verdammt guten Anwalt. Während ich besorgt die Miene meines Vaters beobachtete und aß, durchschnitt das Ploppen einer frisch geöffneten Bierflasche die Stille im Raum.

„Diese verdammte Schlampe", brummte er mit dunkler Stimme und setzte die Bierflasche an, ehe er beinahe die Hälfte in einem Zug leerte. „Das kann doch wohl nicht wahr sein. Sie will schon wieder nicht mehr für dich zahlen und stattdessen auch noch Unterhalt, weil sie dich acht Jahre lang erzogen hat – schon wieder! Wenn dahinter mal nicht ihr neuer Macker steckt!", schnaubte er vor Wut kochend und krampfte mit der Hand, die nicht die Bierflasche umklammerte, so sehr, dass er das Papier des Briefes zerknitterte.

Die Erinnerung an meine Mum war inzwischen verblasst.
Nicht, weil vier Jahre genügten, um die eigene Mutter zu vergessen, sondern vielmehr weil das, was ich jeden Tag von meinem Vater hörte, nicht zu meinen Erinnerungen passte.
Ich konnte mir nicht erklären, was passiert war.

Sie war nicht mehr die fürsorgliche Mutter, die sie einmal war und auch nicht mehr die liebende Ehefrau. Die Liebe meiner Eltern war vergangen und anscheinend steckte in einer zerbrochenen Liebe eine Kraft, die meine Vorstellungen überstieg. Sie konnte Menschen verändern.
Sie verwandelte Mütter in profitorientierte Monster, die hartarbeitende Väter an die Grenzen ihre Kräfte trieben.
Und sie verwandelte friedliche Familienväter und einst so starke Männer in Wracks.

„Was denkt diese Irre, wieviel ich noch arbeiten kann?", polterte Dad längst weiter. „Die gibt anscheinend keine Ruhe, bis sie mir auch noch den letzten Cent aus der Tasche gezogen hat!"
Kommentarlos aß ich weiter, während er seine Wutrede fortsetzte.

Lahote || Twilight / WerwolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt