Kapitel 34: Zeitvertreib

Start from the beginning
                                    

„Wie immer, kann man sagen", entgegne ich leicht wehmütig.

„Nun sag schon, was ist los?", fordert Großvater, hebt mich hoch und setzt sich mit mir auf den Sessel vor dem Kamin seines Regierungszimmers.

Behutsam streicht er mir eine Strähne aus dem Gesicht und wartet geduldig auf meine Antwort.

„Es ist ein wenig frustrierend, weder lesen, noch malen zu können", gestehe ich schließlich.

Ich habe sogar schon Silas besucht und mich bei ihm ausgekotzt. Natürlich war Mikul auch da für seine Leibwachen Dienste, er kümmert sich nebenbei echt gut um die Babies. Silas wird seine kleine Tochter aber nur selten los, was echt amüsant ist. Er bringt es aber auch nicht übers Herz, sein weinendes Mädchen aus seinen Armen zu geben. Tatsächlich bessert es sich aber, ab und an lässt sie sich auch von Mikul beruhigen oder von ihren Großeltern. Und Shade ist eh ein Fall für sich.

„Das verstehe ich", spricht Großvater mir ruhig zu.

„Silas bringt mir demnächst mal ein paar Bücher aus Noctis Bibliotheken mit, da kann man wohl auch ohne Augenlicht lesen. Da bin ich gespannt drauf", berichte ich dann schließlich leicht enthusiastisch.

„Bring diese Bücher gerne mit und wenn es dir beliebt, verbinde ich mir die Augen und wir lernen gemeinsam blind zu lesen", bietet Großvater liebevoll an.

„Das wäre wirklich schön, aber hast du wegen dem Krieg nicht viel zu tun?", frage ich mit schlechtem Gewissen nach.

„Habe ich, ja. Aber Kilean und Lunas sind älter als ich, deren Erfahrungswerte helfen mir noch heute oft weiter. Und Kilean schiebt gerne Überstunden, damit du dich wohl fühlst. Ihm tut es unsagbar leid, dass du nur weiß sehen kannst. Es entgeht ihm nicht, dass deine Lebensfreude ein Stück weit darunter leidet. Du weißt ja, wie anfällig wir durch Clarissa dafür sind. Es ist seine Art dir helfen zu wollen, nimm es ruhig an, Kleines", betont Großvater mit einem Lächeln.

Beinahe hätte ich aus schlechtem Gewissen abgelehnt, aber meine Vampirfamilie würde sich nur mehr um mich sorgen. Und wenn Kilean schon solche Opfer bringt, will ich es nicht umsonst gewesen sein lassen.

„In Ordnung. Ich bringe demnächst dann diese Bücher vorbei, in drei Tagen bin ich mit Silas verabredet", erwidere ich zaghaft.

Dem stimmt Großvater freudig zu, dann ergreift er behutsam meine Hände.

„Soraya?", hakt er leicht nervös nach.

Fragend sehe ich ihn an.

„Für die Geige oder das Klavier brauchst du kein Augenlicht. Es würde mich freuen, wenn wir es zusammen probieren wollen. Bitte, Soraya, ja?", fragt Großvater nun voller Hoffnung.

Ehrlich gesagt will ich am liebsten Nein sagen, aber mir bleiben nicht so viele meiner Freizeitbeschäftigungen übrig. Und nur den ganzen Tag den Kampf mit weißer Sicht zu trainieren ist auch öde. Und wenn jemand ein Gefühl für die Musik hat, ist es Großvater.

Ich stimme zu und erhebe mich von Großvaters Schoß, auch er steht mit einem Lächeln auf und bietet mir seinen Arm zum Einhaken.

„Lunas!", ruft Großvater kurzerhand und der Hauptmann steht sofort im Raum.

„Ich kümmere mich heute um Soraya, übernimm bitte meine Termine für heute. Du hast wie immer volle Vertretungsvollmacht. Die Übersicht liegt auf dem Schreibtisch", spricht Großvater seine Befehle aus.

„Wie es euch beliebt, Prinz Sorin. Schön dich zu sehen, Soraya. Hab einen schönen Tag mit deinem Großvater", sagt Lunas freundlich, wendet sich aber sogleich dem Schreibtisch zu. Dort durchwühlt er nun einfach die Pergamente und verschafft sich einen Überblick.

Kronprinz Silas IIWhere stories live. Discover now