Kapitel 22 - Angriffslust

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Sie war also wirklich hier. Was zur Hölle hatte sie hier verloren?
Ganz offensichtlich wollte sie zu Jacob, aber weshalb ausgerechnet jetzt?
Jacob wird doch wohl nicht tatsächlich seine Chance gesehen haben, nachdem die Cullens nun das Feld geräumt hatten, und Bella hierher zitiert haben?

„Was habt ihr getan? Was habt ihr ihm angetan?", stellte uns Bella sofort aufgewühlt zur Rede und kam ungezügelt auf uns zu.
Ihr Hauptaugenmerk schien auf Sam zu liegen, denn zielsicher lief sie auf ihn zu uns stieß ihn auffordernd und provokant zugleich vor die Brust.

Was sie dort tat, war lächerlich. Sam war locker zwei Köpfe größer als sie, von der Breite ganz zu Schweigen.
Ich hätte diesen Moment, in dem Bella sich auf Sam konzentriert hatte, nutzen und tief durchatmen sollen, um diese Anspannung und Aggressionen in mir fallen zu lassen, doch daran dachte ich keine Sekunde – ganz im Gegenteil.
Während Sam kontrolliert einen Schritt zurückwich und trotz eines verächtlichen Schnaubens keine Anzeichen einer bevorstehenden Verwandlung zeigte, nahm ich mich Bellas Fragen an.

„Was wir getan haben? Was hat er getan? Was hat er dir erzählt?", stellte ich fordernd die Gegenfrage, die Hände nach wie vor zu Fäusten geballt.
Sofort ließ Bellas Blick von Sam ab und schnellte nun zu mir.
Es war nur ein Blick und trotzdem wusste ich sofort, dass sie mich soeben wiedererkannt hatte. Sie hatte von mir gehört, sie wusste, wer ich war – oder zumindest glaubte sie das.

„Paul, nicht?"
Ihre Stimme klang abwertend, was mich bloß noch rasender machte.
„Schluss jetzt, Paul! Hör auf damit!", hörte ich die Stimme meines Alphas, der mich nur zu gut kannte und wohl auch bereits die Zeichen meines Körpers richtig gedeutet hatte. Er wollte mich beruhigen, doch seine Stimme drang bloß wie durch Watte zu mir durch.
Im Moment lag meine volle Aufmerksamkeit auf Bella.

„Jacob erzählt mir gar nichts! Niemandem! Weil er Angst vor euch hat!", warf uns Bella mit anklagender und überzeugter Stimme vor.
Wieder einmal wurde mir bewusst, wie wenig Ahnung sie doch von der Welt, in der sie lebte, hatte. Sie mochte vielleicht wissen, dass ihr Freund und seine Familie Vampire waren, doch was es mit den Quileute auf sich hatte, hatte sie nicht verstanden.

Ich konnte gar nicht anders, als spöttisch aufzulachen. Zumindest schien Jacob unser Geheimnis nicht ausgeplaudert zu haben.
Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, ich hätte die kritische Phase mit Ach und Krach überwunden und mein Wolf hätte sich wieder beruhigt, als ich im nächsten Moment Bellas Gesichtsausdruck sah.
Sie schien nicht weniger wütend als ich zu sein und brachte mir ebenso viel Verachtung entgegen, wie ich ihr.

Sie sagte nichts, doch dafür holte sie mit all dem Hass und all der Wut in ihr aus und verpasste mir mit der flachen Hand eine heftige Ohrfeige.
Das gab – im wahrsten Sinne des Wortes – den Ausschlag.
Für einen kurzen Moment starrte ich sie fassungslos an, bis ich begriff, was gerade eben passiert war und bereits spürte, wie dieses unaufhörliche Beben Besitz von meinem Körper ergriffen hatte.

Bella Swan machte nichts als Probleme. Sie hatte weder Grund, noch Recht überhaupt hier zu sein. Und nun übertrat sie diese Grenze und wagte es, die Hand gegen mich zu erheben, was nicht nur an meinem Stolz kratzte, sondern das Fass endgültig zum Überlaufen brachte.

Ich erkannte noch verzerrt Bellas verständnislosen, starren Blick, als mein Kopf plötzlich herumfuhr und ich verärgert die Zähne fletschte.
Während von Embry nur ein resigniertes Seufzen zu hören war, hatte Sam inzwischen seinen Arm vor Bella gehalten und versuchte sie aus meiner unmittelbaren Nähe zu drücken.
„Bella, verschwinde!", wies er sie harsch an, doch sie stand wie angewurzelt da.
„Paul!", wandte er sich nun mir zu. „Beruhige dich!"
Doch es war bereits zu spät.

Wutentbrannt fiel ich vorne über und schon zerriss meine menschliche Gestalt, um sich in diesen monströsen, dunkelsilbernen Wolf zu verwandeln.
Knurrend starrte ich Bella an, geduckt und sprungbereit.
Anstelle ihres Ärgers, standen ihr nun plötzlich Schock und Angst ins Gesicht geschrieben, als sie mich so verändert vor ihr stehen sah.
Ich hätte sie auf der Stelle in Stücke reißen können und hätte auch für nichts garantiert, hätte sie nicht vollkommen verängstigt kehrt gemacht.

Gerade als Bella zurück zum Bungalow lief, sah ich, wie sich dort nun Jacob über die weißgestrichene Veranda schwang und direkt auf uns zulief.
„Jake, lauf!", hörte ich noch Bellas hysterische Stimme, die ihn wohl zu warnen versuchte, aber mitten im Lauf hatte sich Jacobs menschlicher Körper bereits ebenfalls in einen riesigen rostbraunen Wolf transformiert.

Auf vier Pfoten kam er lautstark wieder am Boden auf und stand mir knurrend, erhobenen Hauptes gegenüber.

Bist du vollkommen irre, was veranstaltest du hier?, erklang Jacobs aufgebrachte Stimme in meinen Gedanken, während er mich durch düstere Augen anstarrte und angriffslustig vor mir stand.

Geh' mir aus dem Weg! Du hättest sie niemals herbringen dürfen, sie weiß zu viel!

Sofort brachte Jacob seinen monströsen Körper noch ein Stückchen weiter nach unten, um mir seine Angriffslust zu signalisieren. Er wollte Bella verteidigen, das war mir klar.

Verdammt, Paul, du checkst überhaupt nichts! Ich hab Bella doch nicht hierhergebracht! Sie hat einfach vor der Tür gestanden. Und zwar mit Julie!

Bei diesen Worten entwich ein leises, leidendes Winseln meiner Kehle.

Julie? Wo ist sie?

In meinem Zimmer, am Fenster, du Vollidiot!

Und zum zweiten Mal an diesem Tag sah ich bloß mehr Rot.
All das hier lief absolut nicht nach Plan und meine Gedanken überschlugen sich.
Doch fakt war, dass das, was ich eben noch als Geheimrezept, um Julie wieder an mich heranzuführen, erkannt hatte, damit passé war.

Womöglich hatte ich sie damit nun endgültig verloren und sie nachhaltig geschädigt oder gar aus La Push gejagt.
Ich wollte ihr unsere Existenz doch schonend beibringen – und selbst das erst, wenn sie soweit war.
Zu gerne wäre ich in diesem Moment bei ihr gewesen, hätte ihr versichert, dass sie keine Angst zu haben braucht, doch stattdessen war sie alleine in diesem Haus.
So gerne ich mich auch beruhigt und für sie zurückverwandelt hätte, war daran im Moment nicht zu denken.

Meinen Sündenbock hatte ich bereits gefunden – Bella. Und damit auf Umwegen auch Jacob, denn seinetwegen war Bella überhaupt hier.
Geradewegs machte ich einen Satz und ging auf Jacob los. Er war größer als ich, doch durch meinen aktuellen Gemütszustand waren meine Kräfte heute ungewöhnlich ausgeprägt.
Immer wieder rammte ich die Schulter gegen Jake, doch auch er blieb überraschend standhaft und wich geschickt meinen scharfen Zähnen aus.

„Bringt Bella zu Emily!", hörte ich dumpf Sams Stimme zwischen unserem Knurren hindurch.
Erst Bellas Stimme drang wieder klarer zu mir – vermutlich wegen des Namens, den sie laut aussprach.
„Aber.. Julie", stammelte sie überfordert, doch mehr bekam ich nicht mehr mit.
Jacob hatte mich während unseres Kampfes bereits, unter den gespannten Blicken der Anderen, gekonnt in den Wald gedrängt.

Lahote || Twilight / WerwolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt