Kapitel 15 - „Sei freundlich"

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Selbst um solch zaghafte Berührungen beneidete ich ihn in diesem Moment ungemein. Niemals würde sie zulassen, dass ich ihr so nah kam. Jacob hingegen sah sie nur immer noch verwirrt über die vorherrschende Situation an.
„Ich weiß, das sieht grad mega seltsam aus, aber in den letzten Tagen ist viel passiert", sagte Jacob ruhig.
Er tat sich sichtlich schwer damit, plausible Worte zu finden. Immerhin konnten wir ihr nun auch nicht ohne Vorwarnung das Geheimnis der Gestaltwandler um die Ohren hauen.

„Du warst krank, was soll da schon passiert sein?"
Julies Stimme driftete zeitweise in ein spitzen Kieksen ab und immer wieder erwischte ich sie dabei, wie sie einen ungläubigen Blick über Jakes Schulter warf und zu mir sah.
„Und wenn ich mir mal ansehe, wie du rumläufst, dann wundert mich das auch nicht!"
„Ich bin wieder gesund, Julie", winkte Jake beiläufig ab. „Und ich hab mich endlich mit Embry ausgesprochen. Und auch mit Quil."

Selbst von hier erkannte ich, wie sich Julies Blick verdüsterte. „Ausgesprochen?"
„Weißt du, sie hatten alle einfach 'ne schwierige Zeit. Das ist 'ne lange Geschichte, aber fakt ist, dass man jahrelange Freundschaft nicht einfach so wegschmeißt."
Zweifelnd runzelte Julie die Stirn, doch zumindest blieb sie ruhig.

„Das ist ja schön und gut und das freut mich auch für dich, aber.."
Wieder fand mich ihr Blick über Jakes Schulter, obwohl ich nach wie vor vorgab, den beiden keine Beachtung zu schenken.
„Aber sag mir bitte nicht, dass du jetzt auch mit all diesen Idioten hier rumhängst."

„Das sind keine Idioten", korrigierte Jake sie mit ernster Stimme. „Das waren früher auch mal deine Freunde. Menschen verändern sich und machen Fehler, sei nicht so verbittert."
Für einen Moment hatte ich Angst, Jacob würde zu harte Töne anschlagen und Julie direkt wieder vergraulen, doch anscheinend hatte ich vergessen, wie viel Zeit die beiden in den letzten Wochen miteinander verbracht hatten.

„Du weißt ganz genau, worum es mir geht", brummte Julie, ohne dass Jacobs Worte sie gereizt hatten. „Wenn du mit ihnen rumhängen willst, dann tu das – aber dann bin ich weg."
Sie wusste es zwar nicht, doch ich war derjenige, den diese Aussage am meisten traf.
„Bist du also gestern auch mit ihnen unterwegs gewesen und hast mich deshalb allein zu Bella fahren lassen? Hast du uns für die da versetzt?"

Nun war es Jacob, der aufmerksam aufhorchte. Er war gestern in Gedanken vollkommen woanders gewesen und hatte keinen Gedanken an Bella verschwendet – bis jetzt.
„Du warst bei Bella?"
„Ja, und durch diesen Mist hier hätte ich gerade beinahe vergessen, weshalb ich sowieso schon sauer auf dich war!", fiel Julie ihr Ärger wieder ein. „Hast du eigentlich wirklich sonst nichts zu tun, als Bella meine komplette Lebensgeschichte aufzutischen und einfach so aus dem Nähkästchen zu plaudern? Und das ohne mich vorher zu fragen?"

Stumm stand Jacob vor ihr.
Ich wusste nicht, was genau in diesem mir fremden Freundeskreis – Julie, Jake, Lou und Bella – vor sich ging, doch Julie schien alles andere als begeistert.
„Weißt du was?", redete sie weiter. „Vielleicht sollte ich mir tatsächlich noch einmal Gedanken darüber machen, wer wirklich meine Freunde sind."
Mit diesen Worten drehte Julie ihm schwungvoll den Rücken zu.

„Mensch, Julie, das ist doch jetzt total übertrieben", rief er ihr noch hinterher. „Natürlich bin ich dein Freund!"
Es hätte mir vermutlich sogar etwas Genugtuung verschafft, dass ich nicht der Einzige war, der Julies neues Selbst und ihre neugefundene Stärke zu spüren bekam, wäre Jake nicht noch meine einzige Chance bei ihr gewesen.

Resigniert blieb Jake zurück und legte die Hände in seinen Nacken, als er Julie hinterher sah, bis sie schließlich außer Sichtweite war. Erst als sie einmal ums Haus verschwunden war, drehte er sich um und sah nun wieder in unsere Richtung.
Entschuldigend hob er nun seine Arme und warf insbesondere mir einen bedauernden Blick zu.

„Das scheint mir nicht sehr erfolgreich gewesen zu sein", raunte mir Embry entgegen und klopfte mir brüderlich auf die Schulter. „Aber das muss nichts heißen."
„Eben", nickte auch Sam, der immer noch neben uns stand. „Sie wird ihm nicht so einfach die Freundschaft kündigen. Im Moment ist sie einfach nur aufgebracht. Sie hat eben nicht erwartet, dass wir hier bei ihm sind und er je wieder mit uns zu tun haben wird."

Ich wusste, dass sie mir im Moment alle bloß Mut zusprechen wollten, doch mich beschäftigte im Moment etwas ganz anderes, während mein Blick Jacob fixiert hatte.
Julie schien verärgert, sogar etwas verletzt gewesen zu sein – und das bereits bevor sie Jacob hier mit uns sitzen gesehen hatte.
„Was hast du Bella über sie erzählt?", stellte ich ihn zur Rede, kaum war Jacob wieder in Reichweite.

„Na, was wohl." Müde sah Jake mich an. „Ihre Vergangenheit mit dir. Bella hat sich damals am Strand über euch gewundert und dann sind wir eben irgendwie über dieses Thema gestolpert."
„Und da reißt du einfach alte Wunden auf und redest hinter ihrem Rücken darüber?", platzte es unkontrolliert aus mir heraus, ohne darüber nachzudenken.

Alleine die Tatsache, dass Jacob etwas getan hatte, was Julie Ärger bereitete und sie verletzt hatte, machte mich bereits rasend – ganz egal, welche Rolle ich selbst dabei spielte.
Ungläubig zog Jacob die Augenbrauen nach oben und musterte mich irritiert.
„Wow, jetzt dreh' den Spieß hier mal nicht um", entgegnete er mir ernst. „Tu' nicht so, als wär plötzlich ich das Problem! Ich bin nicht dein Problem, ich steh nicht zwischen dir und ihr. Das bist du schon selbst!"

Wieder saßen Jacobs Worten und trafen mich genau da, wo sie am meisten Schaden anrichten konnten. Er hatte recht und das war das Schlimmste daran.
„Ich glaube, du hast immer noch nicht verstanden, was du ihr eigentlich angetan hast und wie sehr sie darunter gelitten hat. Ironischerweise hast du sie sogar auch geprägt", sprach Jacob weiter. „Nur im negativen Sinne."

Urteilend sah ich zu ihm auf, obwohl ich noch nicht einmal einen Grund hatte, ihn zu verurteilen – er war bloß ehrlich.
Es gab also einen neuen Mann in Julies Leben, sie hasste mich und zu guter Letzt war ich auch noch selbst daran schuld, dass sie mich so konsequent aus ihrem Leben streichen wollte.
Es hätte gar nicht schlechter laufen können.

„Ich für meinen Teil werde auf jeden Fall nochmal mit Julie sprechen, wenn sie wieder runtergekommen ist", schlug mein Gegenüber nun wieder ruhigere Töne an. „Und dann werde ich erstmal zu Bella-"
„Das wirst du nicht!", grätschte an dieser Stelle Sam sofort dazwischen. „Du kannst gerne mit Julie sprechen, immerhin hat sie durch Paul das Recht, hier eingeweiht zu werden und uns allen hier liegt der Kontakt zu ihr am Herzen. Aber nicht Bella."

„Wie, nicht Bella?", fragte Jacob und schüttelte irritiert den Kopf, während ich in Gedanken schon wieder meiner verdammten Situation mit Julie nachhing.
„Du weißt, wie es läuft, Jake", seufzte Sam. Dieses Gespräch hatte er in den letzten Monaten zu genüge geführt. „Jeder Kontakt zu Leuten außerhalb des Rudels ist ein Risiko und damit unnötig. Das heißt, dass auch Bella hier nichts mehr verloren hat – zumindest nicht in deinem Leben."

Entschuldigend sah unser Alpha Jacob an.
Es gab im Moment so viel Neues, womit er zurecht kommen musste, dabei war Bella zumindest für einen Tag in den Hintergrund gerückt
Und allem Anschein nach war ihm der Gedanke an den zukünftigen Umgang mit ihr bisher noch nicht gekommen. Für ihn brach soeben eine kleine Welt zusammen.
Gerne hätte ich ihm etwas Mitgefühl geschenkt, hätte ich nicht selbst so verflucht viele Baustellen gehabt.

Lahote || Twilight / WerwolfWhere stories live. Discover now