15 - Santino und Lillian Part III

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Dank der Sitzheizung wird mir schnell wieder mollig warm und auch mein Magen fühlt sich bereits besser an. Ich könnte schwören ihn fast schon wieder Knurren zu hören. Oh man, ich glaube in Little Italy werden wir von einer Portion essen begrüßt. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen wenn ich an die köstlichen Speisen denke, die es dort gibt. So lang mussten wir verzichten. Ich denke, Santino geht es ebenso wie mir. Glücklich wende ich meinen Kopf zu ihm und betrachte meinen Mann von der Seite. Im Wagen ist es nicht sehr hell und lediglich die Straßenbeleuchtung wirft alle paar Sekunden Licht ins Innere. Seine Silhouette ist jedoch deutlich zu erkennen. »Ich sagte doch, alles wird gut«, erinnert er mich an seine Worte. Ich spüre seine Finger in der Dunkelheit nach meinem tasten. Seine Fingerkuppen berühren meinen Handrücken und ich schiebe meine Finger zwischen die seine. »Es hätte auch schiefgehen können. Immerhin gibt es so viele Risiken...«, erwidere ich. Vielleicht hatten wir einfach nur Glück. Santino küsst sanft meinen Handrücken und verzieht seine Lippen zu einem Lächeln. »Ich weiß wie sehr du dir gewünscht hast zurückzukehren«, wispert er. In dem Moment funkeln mir seine Augen in der Finsternis wie zwei Edelsteine entgegen. Erhellt von den vielen Lichtern der Stadt. »Ich vertraue dir«, mache ich ihm leise klar. Mehr als jedem anderen. »Ich weiß Baby. Das wirst du auch nie bereuen.«

Die Fahrt verläuft langsam aber ruhig. Das Schneegestöber nimmt zu und je tiefer wir in die Stadt vordringen, desto schlimmer wird es. In den Straßen, die zu beiden Seiten mit Wolkenkratzern verbaut sind, ist es unmöglich die Schneemassen zu bewegen. Wohin sollen sie auch? Durch die frontscheibe sehen wir kaum auf vier Meter etwas. Es schneit so heftig, dass wir nichtmal mehr auf dem Asphalt, sondern einer Decke aus Schnee fahren. Die Ampeln sind ausgefallen und durch das Radio bekommen wir mit, dass es wohl in einigen Stadtteilen Stromausfall geben muss.
»Signore wir schaffen es mit den Autos nicht weiter«, informiert der Fahrer uns schließlich. Schluckend betrachte ich wie die Menschen durch den teilweise hüfthohen Schnee klettern. Schneestürme sind hier nicht ungewöhnlich aber haben selten so ein Ausmaß. Wir hatten Glück, überhaupt noch landen zu können. Santino seufzt neben mir. »Es sind noch drei Blocks bis zur Straße die nach Little Italy führt«, murmelt er nachdenklich. Er blickt auf sein Telefon, dann zu mir und schließlich durch die Heckscheibe. Hinter uns befindet sich ein weiteres Auto, was zu uns gehört. »Halt an, es geht da vorn eh nicht weiter. Dreh den Wagen bevor ihr hier fest sitzt und fahrt zum Depot. Sobald die Straßen frei sind könnt ihr uns die Koffer bringen. Lillian und ich-« er sieht mich an, als müsse er darüber nachdenken ob es auch wirklich die richtige Entscheidung ist. »Wir beide laufen.«
»Was?«, zische ich entsetzt und auch der Fahrer sieht ihn entgeistert an. »Aber Signore das-«
»Das passt schon, keine Sorge. Ich werde meinen Vater davon unterrichten, dass ihr in den Lagern seit. Dreh jetzt den Wagen. Es ist ja nicht mehr weit bis nachhause«, unterbricht er ihn.
»Santino das ist gefährlich«, zische ich ihn an. Ist er lebensmüde? Wir sind illegal hier und könnten jeder Zeit verhaftet werden. Entsetzt schüttle ich meinen Kopf, doch er scheint sich der Sache mehr als sicher zu sein. »Sieh mal Lillian, die Polizei ist mit anderen Dingen beschäftigt, zum Beispiel sich aus dem NYPD freizugraben. Hier ist niemand und es ist nicht weit. Komm«, versucht er mich zu überzeugen. Ängstlich schaue ich ihn an. »Santino bitte...«, flehe ich fast, »wenn das schiefgeht.«
Mein Mann schüttelt felsenfest seinen Kopf. »Nein, wird es nicht. Ich breche doch keine Versprechen, oder?« Er streckt mir seine Hand entgegen und ich schnalle mich mit klopfendem Herzen ab, rutsche über die Ledersitze und schlinge mir meinen Schal zurück um den Hals. »Danke für die Fahrt«, sage ich noch zum Fahrer, bevor wir uns ins Schneegestöber wagen. Nur drei Blocks, rede ich mir immer leise ein. Nur drei Blocks.

Ängstlich folge ich Santino durch den Schnee. Dort wo er platt gefahren ist, geht es, doch auf den Gehwegen, türmen sich die Berge meterhoch. Der Winterdienst muss versucht haben die Straßen freizumachen vor ein paar Stunden. Doch jetzt stehen die Autos hier im Stau. Stecken fest im Schnee, und wir laufen langsam an ihnen vorbei. Ich stets hinter dem Italiener, der mich an der Hand führt. Es kostet mich viel Kraft, hunderte Meter durch den dicken Schnee zu stapfen. Es ist eisig kalt, Schneeflocken rieseln mir ins Gesicht und meine Hand fühlt sich bereits taub an. Wir schlängeln uns an Autos vorbei, bis wir auf ein Stück Gehweg gelangen, dass einigermaßen frei ist. Trotzdem sinke ich auch hier noch bis zu den Knien ein.

Ächzend mache ich einen Schritt vor den anderen. »Santino warte!« Ich ziehe ihn an der Hand zurück damit er langsamer wird. Einige Menschen kommen uns entgegen und ausweichen kann man fast gar nicht. Wir werden angerempelt ohne Rücksicht auf Verluste. »Hier, komm hier her«, sagt mein Mann und deutet auf einen langes Reihenhaus mit Vordach, unter dem fast kein Schnee liegt. Gerade als ich meine Arme nach ihm ausstecke, damit er mich aus den Schneemassen zieht, spüre ich den Boden unter meinen Füßen nicht mehr. Ich stoße einen Schrei aus doch bevor ich Bekanntschaft mit einer typischen New Yorker Backsteinhauswand mache, fangen mich zwei Hände. Erschrocken kralle ich mich an den dunkelhaarigen kneife meine Augen zusammen. Mein Herz rast höllisch und der Kloß in meinem Hals ist so dick, dass ich kaum noch atmen kann. Ich schniefe, doch die Tränen quellen aus meinen Augen und vereisen sofort an der kalten Luft. Zitternd lehne ich mich gegen die Hauswand, doch werde von Santino gleich weitergezogen. Irgendwie schaffen wir es bis zur Ecke an der Little Italy beginnt. Meine Kleidung ist inzwischen halb durchweicht und meine Knie schlottern unaufhörlich. Jeden Moment könnte ich zum Eisblock erstarren und trotzdem bewege ich mich keinen Meter mehr.

»Santino?«, schluchze ich und sehe wie er sich umdreht. Alle Gefühle brechen plötzlich über mich hinein. Die ständige Angst, dass wir verhaftet werden könnten und das wahnsinnige Glück, welches wir doch haben, wieder hier sein zu können. Es ist als spielen gut und böse einen Streich mit mir und ich breche gnadenlos darunter zusammen. Hier in Little Italy, auf der Straße in der Santino aufwuchs und wir uns so viele Momente teilen, stehen wir nun. Inmitten eines Schneesturms haben wir innegehalten, ganz gleich was um uns passiert. Im Augenwinkel sehe ich wie die Italiener die Straße Freischaufeln, doch niemand schenkt uns Beachtung.
Ich sehe meinen Mann an, zurück an dem Ort an dem so viel geschehen ist. Dabei weine ich wie ein Schlosshund und spüre, wie die Tränen auf meiner Wange kristallisieren.
»Ich wollte nicht herkommen, weil ich so unglaubliche Angst hatte, dass das NYPD uns verhaftet. Das sie uns in den Knast stecken und ich dich nie wiedersehe«, sprudelt es aus mir heraus. Santino kommt auf mich zu, bis kein Blatt mehr zwischen uns passt. Sanft streicht er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sagt kein Ton, während ich weine. Doch seine Augen versprühen so viel Liebe wie immer, wenn er mich anschaut. Himmel nochmal, ich liebe diesen Mann mehr als alles andere auf dieser Welt. Mehr als mich selbst und mein Leben. Ich würde sterben für ihn und er für mich und der Gedanke daran, je noch einen Tag meines Lebens von ihm getrennt zu sein, bringt mich fast zu Tode.
»Ich wollte nicht, dass du keine Chance bekommst, dein Baby aufwachsen zu sehen, Santino. Ich wollte das nicht riskieren«, weine ich bitterlich. Feine Fältchen bilden sich zwischen seinen Brauen, als seine kalten Hände meine feuchten Wangen umschließen. »Was?«, fragt er mich ungläubig, sein Atem steigt rauchend in die Antarktische Winterluft auf.
»Ich bin schwanger, Santino. Wir bekommen ein Baby«, gestehe ich ihm endlich.

24 days til christmas | 18+Where stories live. Discover now