18 - Fergus und Mila Part IV

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MILA

Gähnend öffne ich meine Augen und stelle fest, dass ich allein auf dem Fahrersitz sitze. Im trüben Licht der aufgehenden Wintersonne, erkenne ich Fergus an der Motorhaube stehen. Er raucht eine Zigarette, während er grübelnd in die Ferne starrt. Wie spät es wohl sein muss? Müde taste ich nach dem kleinen eckigen Gerät, dass ich gestern irgendwo abgelegt habe. Ich finde es neben meinen Schuhen im Fußraum wieder. Es muss wohl vom Sitz gefallen sein, als ich geschlafen habe. Blinzelnd schiele ich auf das Display und die Uhrzeit, die es mir anzeigt. Kurz nach sieben Uhr morgens. Wieder entlieht mir ein gähnen und diesmal versuche ich nicht, es aufzuhalten. Ausatmend öffne ich die Fahrertür und rutsche hinaus auf den reinweißen Schnee. Als die Tür mit einem krachen hinter mir zufällt, schaut Fergus mich endlich an. »Du solltest im Wagen bleiben. Daran scheinst du dich ja einfach nicht halten zu wollen«, grummelt er griesgrämig. Ich ignoriere seine schlechte Laune gekonnt und schlinge mit seine Jacke, fester um den Körper. Mit verschränkten Armen komme ich neben ihm zum stehen und lehne mich gegen die Motorhaube. »Wie lang stehst du schon hier draußen?«, frage ich ihn und sehe links hoch zu ihm auf. Ich reiche ihm kaum bis zum Hals. »Keine Ahnung. Ist nicht meine erste Kippe«, gesteht er mir ziellos in die Ferne starrend. Seufzend lehne ich meinen Kopf gegen seine Schulter und tue es ihm gleich. Dort wo Himmel und Erde eins werden, gibt es nur schneebedeckte Wiesen. Die endlose Weite der Highlands hat uns in sich verschluckt wie ein schwarzes Loch. Zumindest kommt es mir so vor. Schmunzelnd muss ich an unsere ersten Tage zusammen denken. Damals, als ich mich todesmutig in die eisigen Wellen des Atlantik stürzen wollte und nie davon geträumt hätte, Fergus je zu mögen.

Der fast schwarzhaarige reicht mir die silberne Tasse, die er mit dampfendem Kaffee gefüllt hat. Schnuppernd führe ich sie an meine Lippen und nippe daran. Einen Schluck gönne ich mir. Er rinnt heiß meine Kehle hinab und erwärmt meinen Magen ein wenig. Das reicht mir völlig für den Anfang. »Danke«, wispere ich und puste ein wenig. Ich genehmige mir einen weiteren Schluck und reiche ihm seine Tasse zurück. Gnatzig leert er sie mit einem Schluck und gießt sich nach. »Wie bist du hier rausgekommen?«, will er wissen. Ihn scheint nicht zu interessieren, wieso ich hier bin, oder wie ich heiße. »Ich bin gelaufen«, gestehe ich ihm. Dort wo ich war, musste ich unbedingt weg. »Den ganze Weg bis hier raus? Das sind mehrere Kilometer«, schnaubt er. »Ja...«, beteuere ich, »gelaufen.«
»Du willst mir weiß machen, das du den ganzen Weg aus Inverness bis hier her in diesem Outfit und im strömenden Regen gelaufen bist?«
»Ja«, antworte ich genervt, »glaub mir oder glaube mir nicht, das kümmert mich wenig.«
Der dunkelhaarige wirft mir einen knappen Blick zu. »Dann bist du definitiv irre«, schlussfolgert er. Ich schnappe nach Luft. »Bin ich nicht, ich wollte da nur weg.«
»Wo weg?«, fragt er mich mit gerunzelter Stirn. Lippenbeißend starre ich in die Ferne. Ganz weit weg erkenne ich Inverness. Der Weg schien mir aus der Stadt hinaus nicht so weit, wie er tatsächlich ist. Ursprünglich dachte ich, der Weg wäre kürzer.
»Ist doch egal, oder?«, wispere ich gedankenverloren.

Fröstelnd ziehe ich mir meine Seite der Decke enger um die Schultern. Unsere Oberarme reiben unter der Decke aneinander. Auf eine merkwürdige weiße, finde ich das besser als gedacht. Sein Körper strahlt Wärme aus, das ist alles was zählt. »Bist du aus der Klapse abgehauen?«, fragt er dennoch ernst. »Nein!«, gebe ich empört zurück, »ich bin weder irre noch total krank. Ich war auf einer Familienfeier und-«
»Verstehe«, unterbricht er meinen Redeschwall augenblicklich. Verdutzt drehe ich meinen Kopf zu ihm. »Du verstehst?«, hake ich nach. Er nickt und starrt ebenfalls in Richtung Stadt, »sehr gut sogar. Familie ist etwas verkorkstes.«
Überrascht wende ich meine Augen wieder ab und sinke ein bisschen mehr zusammen. Langsam lösen sich meine verspannten Muskeln. »Ist es«, stimme ich zu. Er scheint zu wissen, wovon er spricht. Es ist erfrischend sich mit jemandem zu unterhalten, der keine perfekte Familie hat. In den Kreisen in denen meine Eltern verkehren, gibt es wenig Raum für Imperfektionen. Alles ist bis aufs kleinste Detail geplant und organisiert. Sogar meine Hochzeit...

»Also«, erhebt er sich schließlich und überlässt mir die Decke. Er stellt sich neben mich und beginnt den Kaffee einzupacken. »Soll ich dich mit in die Stadt nehmen?«
Ob das eine gute Idee ist?
»Nein, ich-«, stockend schlucke ich, »nein danke.«
Der, dessen Namen ich noch immer nicht kenne, presst seine Lippen aufeinander. »Hast du jemanden der dich abholt?«, will er wissen. Kopfschüttelnd richte ich meine Augen gen Boden. Einzelne Strähnen meiner langen, nassen Haare rutschen mir ins Gesicht.
»Also soll ich dich hier lassen, damit du dich wieder in die Fluten stürzt?«, will er wissen. Schweigend schlinge ich mir die Decke eng um meinen nassen Körper. Mir ist so eisig in diesem Kleid...
»Ich werde laufen.«
Er beginnt zu lachen. Es ist nicht belustigend oder amüsant, sondern bloß ungläubig und fies. »Ganz sicher nicht, Rapunzel. Schwing deinen Arsch auf den Beifahrersitz, damit ich dich nach Inverness bringe. Wenn du willst bis vor die Klapse«, raunt er genervt und scheucht mich auf. Ich trete zurück in den Regen und sehe zu, wie er die Klappe des Kofferraums schließt. »Ich bin nicht irre!« Nur verzweifelt...

»Sicher, genau das würde eine Irre sagen«, spottet er und marschiert auf die Fahrtür zu. Bevor ich mich versehen habe, sitzt er hinter dem Steuer und der Motor brummt auf. Verdammt nochmal. In der Kälte stehen will ich auch nicht. Meine Füße schmerzen vom langen Weg hierher. Meine Schuhe bin ich schon nach der Hälfte losgeworden. Mir wird nichts anders übrig bleiben, als auf sein Angebot einzugehen. Ich öffne die Beifahrertür und steige ein, so wie er es gesagt hat. Den Mumm mich wieder in die Fluten zu stützen, habe ich nicht.

Gähnend halte ich mir die Hand vor den Mund und kuschle mich enger an seine Seite. Inzwischen hat er einen Arm um mich gelegt und raucht die -vermutlich- dritte Zigarette des Tages. Ein Kommentar über seinen Verbrauch spare ich mir. Ich glaube nicht, dass er jetzt ernsthaft damit klarkommen würde, und diskutieren will ich auch nicht.
»Mein Magen grummelt«, merke ich an und entlocke ihn ein amüsiertes schnauben. »Mhm, schaut so aus als müssten wir uns heute eine extra Portion Essen gönnen.«
»Und ein heißes Bad«, füge ich bei.
»Daran hätte ich nichts auszusetzen, kleine.«
Ich lächle, weil der dreckige Unterton in seinen Worten nicht zu überhören ist. Mein Ellenbogen landet sogleich in seiner Seite und er stöhnt gespielt auf. »Autsch.«
»Willst du etwa so enden wie Ewan und Erin? Ich meine ... zwei Kinder?«, frage ich ernsthaft nach. Fergus erträgt es ja kaum, Isla nicht 24/7 beschützen zu können. Er würde am liebsten die ganze Welt von ihr fernhalten. Wie will er das mit zwei Kindern schaffen?
»Naja ich meine, willst du keine mehr?«
Seine Frage überrascht mich. Ich hätte nie gedacht das Fergus ein Familienmensch ist. Vielleicht, weil ich ihn zu früh für seine Art verurteilt habe. Ich meine damals, als wir uns kennenlernten. Er war so kalt und fies, noch dazu von Kopf bis Fuß tätowiert und schien nicht interessiert an jeglicher körperlicher Beziehung zu sein. Nun ja, vielleicht hat sich das geändert aber, ich weiß nicht. Meine Gedanken sind zu verwirrend als das ich sie selbst in Sätzen zusammenfassen könnte. Ein großes Fragezeichen dominiert meine Stirn.
»Irgendwann vielleicht«, antworte ich. Fergus zieht mich enger an sich. »Ja irgendwann vielleicht«, wiederholt er meine Worte und küsst meine Stirn sanft. Lächelnd trete ich ganz vor ihn und schlinge meine Arme um seinen Rücken. Ich spüre sein Herz unter seinem Pullover pochen und für einen Moment gibt es nur uns zwei. Kurz darauf höre ich das röhren eines Motor und als ich neben uns schaue, blicke ich erfreut in ein bekanntes Gesicht.

»Henry!«, stoße ich erfreut aus als ich seine dunkle Haarpracht aus dem Fenster hinausschauen sehe. »Was machst du denn hier?«
Fergus Arbeitskollege und Freund, fährt seinen Wagen vor unseren und steigt gelassen aus. »Fergus hat mich angerufen und da die Basis nicht weit entfernt ist, dachte ich ich helfe euch aus«, erklärt er. Ich falle ihm überglücklich in die Arme. Kann kaum glauben, dass er wirklich hier ist. Unser Retter in der Not.
Überrascht schaue ich zu Fergus der nur unschuldig die Hände hebt. »Ich hatte vorhin kurz Empfang an einer Stelle.«
»Du wusstest also das er kommt?«, frage ich und boxe ihm gegen die Schulter. »Und mich hast du die ganze Zeit denken lassen, wir säßen hier fest!«, sage ich vorwurfsvoll. Fergus grinst dämlich. »Nur ein paar Stunden, ja. Ist doch eine schöne Überraschung oder?«, fragt er und ich schlucke meinen Ärger herunter. Im Moment bin ich nur froh, endlich hier wegzukommen und bald meine Tochter in den Arm schließen zu können. Ich falle Henry erneut um den Hals und drücke ihm einen dicken Schmatzer auf die Wange, was er mit einem Lachen abtut. »Ganz schön stürmisch kleine Duncan. Dann lasst uns die Karre mal zum laufen bringen«, klatscht Henry in die Hand und ich nicke eifrig. Ich kann es kaum erwarten nachhause zu kommen. Da ist unser kleiner Ausflug nach London, ja doch noch ein richtiges Erlebnis geworden.

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