2 - Fergus und Mila Part I

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MILA

Zurück in London zu sein, hatte ich mir so schnell nicht wieder vorgestellt. Erst recht nicht im Haus, in dem ich so lang lebte und eingesperrt war. Hier in der Villa schaut es genauso aus wie damals, als ich ging. Im Haus hat sich nichts verändert. Nur die roten Blutlachen auf dem Bett und Boden meines Vaters zeugen von dem, was sich hier abgespielt haben muss, bevor er starb. »Starr da nicht so lang hin, Mils«, flüstert Fergus und schiebt sich vor mich. Mit verschränkten Armen senke ich den Kopf auf meine Schuhe hinab und schließe die Augen. »Ich kann nicht anders«, gestehe ich ihm ehrlich. Obwohl ich nichts als puren Hass gegenüber meines Vaters empfand, wühlt mich die Situation auf unerklärlicherweise auf. Ist es die Erleichterung, dass alles endlich vorbei ist, die meine Adern durchströmt? Oder doch die Last dieses Erbe, welches nun auf meinen Schultern lastet?
»Lass uns ein paar Dinge aus deinem Zimmer packen«, schlägt mein Mann vor. Ich bin ihm dankbar dafür. Vermutlich würde ich ohne ihn hier völlig untergehen. Nickend stimme ich zu und lasse mich von ihm durch die Flure führen. Das Haus, nein die Villa, gehört mir. Aber ich will sie nicht. Ich will keinen Millimeter davon behalten. Sie weckt nur Erinnerungen, denen ich versuche zu entfliehen. »Danke dass du einen Käufer gefunden hast«, bedanke ich mich murmelnd bei ihm und biege in mein Zimmer ab. Fergus sinkt mit einer Kiste in der Hand auf mein Bett und lehnt sich zurück. »Klar. James war sehr interessiert an dem Objekt.«
»Was haben sie damit vor?«, möchte ich wissen. Fergus Freunde James und Sawyer führen ein erfolgreiches Hotel in der Stadt. Ich glaube kaum, dass sie dies hier in ein weiteres verwandeln werden.

»Es wird abgerissen«, erklingt Mister McLeods Stimme hinter mir im Türrahmen. Ich neige mein Gesicht über die Schultern, um ihn ansehen zu können. Er steht dort in einem maßgeschneiderten Anzug, dickem Mantel und Lederhandschuhen. Die polierten Schuhe spiegeln das Deckenlicht wider. Dieser Mann hat eine furchteinflößende Aura, und doch wirkt er gerade alles andere als arrogant oder unheimlich. »Das willst du doch, oder?«, hakt er nach und tritt einen Schritt näher. Schluckend nicke ich und wende ihm meinen Oberkörper zu. »Es ist besser, wenn das alles weg ist«, antworte ich und schenke ihm ein bescheidenes Lächeln, welches er erwidert. Merkwürdig, wenn man bedenkt, dass er und ich keinen guten Start hatten. Der Zwist mit meinem Vater hat ihm zugesetzt. »Gut. Wie ihr wisst, besitze ich die Villa nebenan. Diese wird erweitert und der Anbau wird sich hier befinden.«
»Buckingham Palace zwei Punkt null, oder wie?«, gibt Fergus vom Bett seinen Kommentar hinzu. »Witzig«, schnaubt James und schenkt ihm einen undeutbaren Blick. »Penthouse schön und gut, aber das hier sind fünftausend Quadratmeter Grundstück im Herzen Londons. Wenn ich die neue Villa irgendwann mal verkaufen sollte, dann-«
»Die Gewinnspanne also«, unterbricht der Schotte ihn. »Richtig«, nickt James anerkennend. »Geld kann man nie genug haben und Besitz ebenso wenig.«
»Sagt der Milliardär«, lacht Fergus und richtet sich wieder auf. »Höre ich da Neid, Cousin?«, hakt James nach und hebt die Brauen.
»Wünschst du dir McLeod.«

»Jungs«, unterbreche ich die beiden. »Ihr wollt doch jetzt nicht streiten, oder? Ich dachte wir bringen noch ein paar Sachen ins Auto«, schalte ich mich ein und schaue zwischen ihnen umher. James ist der erste, der einen Schritt zurückmacht und die Hände anerkennend hebt. »Und ich muss noch weiter. Der Architekt kommt gleich nebenan vorbei, um noch ein paar Details zu besprechen. Außerdem muss ich bald zurück ins Hotel. Hat mich gefreut ihr beiden«, erklärt er und zieht sich langsam zurück. »Hey!«, hält Fergus ihn lautstark auf. »Du kommst doch Weihnachten, oder? Tante Glenna freut sich schon«, fragt er seinen Cousin. Der reiche Hotelinhaber schnalzt mit der Zunge, während er eine passende Antwort sucht. »Ich Versuchs einzurichten.«
»Ich Schlepp dein Arsch persönlich nach Inverness, wenn du nicht kommst«, warnt Fergus ihn. James grinst im Türrahmen stehend. »Darauf wette ich Cousin.«
»Und wie. Bring deine Familie mit.«
James salutiert spaßend, bevor er verschwindet und das Haus verlässt.

Ich sinke rückwärts auf mein altes Bett und stoße ein Seufzen aus. »Wollen wir?«, hakt Fergus nach und deutet auf die Kiste. Meine Augen schweifen durch mein Zimmer, dass noch immer voller Dinge ist. Schließlich nicke ich. Vielleicht ist dies die letzte Gelegenheit, die ich bekomme, um das in Sicherheit zu bringen, was mir noch etwas bedeutet, bevor alles dem Erdboden gleichgemacht wird. Der Gedanke fühlt sich unglaublich befreiend an.
»Du Fergus?«, hake ich nach kurzer Zeit nach und erhebe mich, um die ersten Sachen in die Kiste zu packen. »Ja?«
»Glaubst du zuhause ist alles okay?«
»Du meinst mit Isla?«
Ich nicke und lege eine Decke in die Kiste. Meine Tochter zurückzulassen ist mir unglaublich schwergefallen. Auch wenn es nur drei Tage sind und sie schon über ein Jahr ist. Irgendwie tut es dennoch ein bisschen weh. »Glenna passt gut auf sie auf«, versichert Fergus mir. »Das weiß ich, aber ich vermisse sie«, gebe ich ehrlich zu. Ich vermisse sie sehr.
»Lass uns die Kiste fertig packen und dann machen wir uns auf den Heimweg, ja?«, beschließt mein Mann und zieht mich kurzerhand auf seinen Schoß. Ich nicke, küsse ihn und erhebe mich wieder, um all die Dinge zu nehmen, die mir noch etwas bedeutet.

Zum Schluss ist es dann doch mehr als eine Kiste gewesen. Als wir zwei Stunden später vor dem beladenen Jeep stehen und ich den vollen Kofferraum betrachte. »Ist das alles?«, will Fergus wissen und ich nicke. »Denke schon. Reicht doch auch, oder?«
»Ja«, flüstert er und quetscht das letzte bisschen hinein. »Ich schließe noch ab«, lässt er mich wissen und klappt den Kofferraum zu. Ich bleibe am Auto stehen und werfe einen letzten Blick auf die Villa, in der ich einen großen Teil meines Lebens verbrachte. Und ja, nun weiß ich mit Gewissheit, dass es Erleichterung ist, diesem Ort endgültig den Rücken kehren zu können.

Schneeflocken verfangen sich in meinen Haaren, es rieselt so friedlich vom Himmel hinab auf die Erde, dass ich mir vorkomme wie in einer Schneekugel. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen als ich Fergus von der Haustür zurückrennen sehe. Ich schlinge meine Arme um ihn als er vor mir zum Stehen kommt. »Danke«, nuschle ich und vergrabe mein Gesicht tief im Kragen seiner Jacke. »Danke das du mit mir hier warst.«
»Selbstverständlich kleine«, wispert er in meine feuchten Haare und platziert einen Kuss auf meiner Schläfe. Ohne ihn hätte ich das nie geschafft. Er ist der einzige Grund, wieso ich hier stehe und damals nicht in den eisigen Fluten des Meeres untergegangen bin. Dafür bin ich ihm jeden Tag dankbar.
»Lass uns nachhause fahren«, flüstert er, »davor holen wir uns noch was zum Abendessen, oder?«
Lächelnd löse ich mich von ihm und schaue einen Moment lang in seine dunklen Augen. Sie spiegeln so viel Liebe wider, wie immer. »Burger?«, schlage ich vor und bringe seine Mundwinkel zum Zucken. »Was immer du willst.«

24 days til christmas | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt