Blut für Blut

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In letzter Zeit kam dieses häufiger vor – beide schienen sich auf einmal auseinanderzuleben. War es wegen dem ganzen Stress, der durch die Mordfälle ausgelöst wurde?

Wenn ja, dann war auch ich an dem Bruch der Beziehung beteiligt.

Was die beiden wohl sagen würden, wenn sie erfuhren, dass sie eine Mörderin unter ihrem Dach hatten? Sie würden sich wahrscheinlich sofort trennen, indem sie sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe schoben.

Ich nutzte die Streitphase, um ebenfalls vom Tisch aufzustehen und mein Geschirr in die Spüle zu schieben. Heute war Mary mit Abwaschen dran, doch ich war mir sicher, dass sie es wieder irgendwie schaffte, diese Aufgabe auf meine Schultern zu legen.

So war es immer.

Auf leisen Füßen verließ ich die Küche und schlich die Treppe hinauf, bis ich mein kleines Zimmer erreicht hatte.

Als ich die Tür hinter mir schloss, drehte ich den Schlüssel, bis das leise Klicken zu hören war. Erst, als ich mir zu hundert Prozent sicher war, dass meine Tür verschlossen war, atmete ich hörbar auf.

Ich war so angespannt, wenn ich mit ihnen redete. Kein Wunder, meine innere Stimme machte mir Angst – sie sagte mir, dass sie mir auf die Spur kommen würden, wenn ich auch nur ein einziges falsches Wort sagte.

Sie würden mich der Polizei übergeben.

Ich ließ mich auf mein Bett fallen, bevor ich meinen Blick an die Decke richtete.

Es gab so viel, was mir Angst machte.

Wo war ich falsch abgebogen? Gab es überhaupt ein anderes Schicksal für mich?

War ich vielleicht schon von Anfang an dazu bestimmt, eine Mörderin zu sein?

Das würde zumindest erklären, warum ich keinerlei Schuldgefühl in mir spürte.

Ich hatte versucht, um die Toten zu trauern, ihnen meine Schuld zuzusprechen – doch es war mir nicht gelungen. Ich hatte keine Reue gefunden, nur Angst, Verwirrtheit und einen bitteren Nachgeschmack.

Der Fakt, dass ich drei Menschenleben genommen hatte, ließ mich vollkommen kalt.

Ich drehte mich auf meine Seite und schielte zum Schrank. Jeder normale Mensch würde keinen Verdacht schöpfen, wenn sie das alte Ding sahen... und doch versteckte er all meine Beweise.

Ich müsste die Kleidung verbrennen – sauber kriegte ich sie jedenfalls nicht mehr, die Farbe des Blutes war dafür zu echt.

Aber wann? Wann würde ich die Sachen vernichten können? Gab es überhaupt eine Chance?

Die Zeit drängte, doch ich hatte keine Idee, wie ich fortfahren sollte.

Ich wusste nicht einmal, ob ich vielleicht noch einmal zuschlagen würde – all das lag in einer vernebelten Zukunft.

Ich senkte meinen Blick und betrachtete meinen Arm. Die Wunde war noch immer verschlossen.

Ich hatte getötet, nachdem mein Körper sich selbst geheilt hatte. Es gab einen Zusammenhang, doch ich wusste nicht, inwiefern es im Einklang stand.

Blut für Blut?

Ich ließ meinen Blick wieder durchs Zimmer schweifen, während ich nachdachte.

„Sobald deine Uhr siebzehn schlägt, werden sich deine Augen öffnen."

Diese Aussage kam mir in den Sinn, ich blinzelte. Mom hatte einmal so etwas gesagt, als ich sie nach dem Gen gefragt hatte – zu jenem Zeitpunkt hatte ich mit dieser Antwort nichts anfangen können, doch jetzt machte sie Sinn.

Dieses ganze Chaos hat an meinem siebzehnten Geburtstag begonnen.

Die Halsschmerzen, die nach der Konsumation von Blut verschwanden, die Müdigkeit... nachdem ich mein erstes Opfer leergesaugt hatte, waren alle unangenehmen Symptome verschwunden.

Es war, als bräuchte mein Körper die rote Flüssigkeit, um Leben zu können.

War das die Gegenleistung, die die Schattenspieler erbringen mussten, um das Dunkle bändigen zu können?

Und was war überhaupt mit meinen Schatten? War ich mittlerweile in der Lage, sie besser zu kontrollieren?

Ich setzte mich langsam auf, bevor ich meine Fingerspitzen anstarrte.

Sanfte Schwaden kamen aus diesen hervor, sie wirbelten sachte um meine Hand herum.

Es hatte sich in dieser Hinsicht nichts verändert, sie fühlten sich noch immer gleich an – es war, als würden sie mir sämtliche Energie aus dem Körper saugen.

Es war noch immer kein schönes Gefühl.

Ich wusste, dass ich die Kontrolle verlor, wenn ich noch mehr Dunkelheit heraufbeschwor, daher ließ ich die Schwaden verschwinden. Sie verpufften mitten in der Luft, das Einzige, was mir blieb, war die Müdigkeit und das Schwächegefühl.

Ich starrte noch einen kurzen Moment auf meine Hand, bevor ich sie sinken ließ und seufzte.

Manchmal wünschte ich mir, dass ich das Gen nicht geerbt hätte – dann wäre jetzt so einiges einfacher.

Mein Leben würde nicht Kopf stehen... vielleicht wäre Mom sogar noch am Leben...

Wer weiß, vielleicht wäre viel anders gelaufen – doch das würde den Fakt nicht ändern, dass ich im Hier und Jetzt war.

Ich lebte mit diesem Leben – und mit einer Lust, die ich am liebsten nicht haben wollte.

Ein leichtes Kribbeln in meinem Hals machte sich bemerkbar und ich schloss die Augen.

Ich konnte nur hoffen, dass ich heute Nacht nicht wieder auf Streifzug ging – mit jedem Mord stieg das Risiko, dass sie neue Beweise fanden.

Doch wie sollte ich die nächtlichen Raubzüge unterbinden? Ich hatte nicht einmal eine Erinnerung daran, ich wusste ja nicht einmal, wie ich überhaupt zu meinen Opfern gelangte.

Es fühlte sich an, als würde in mir eine andere Person leben, die ich nicht kannte.


Golden Blood | Eyeless JackWo Geschichten leben. Entdecke jetzt