Kapitel 08 - Das Wiedersehen (2)

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Ich erinnerte mich an sie, ich hatte sie am Freitag in Port Angeles kennengelernt und ihr versprochen, mich die nächsten Tage zu melden. Sie war ausgesprochen heiß und bestimmt hätte ich längst von mir hören lassen, wäre mir nicht spontan etwas dazwischengekommen. Es hatte ja niemand ahnen können, dass ich mich bloß wenige Stunden später in einen gigantischen Wolf verwandeln würde.

Hektisch drückte ich den Anruf weg und atmete erleichtert auf, dass endlich dieses unerträgliche Klingeln verstummt war.
Es war im Moment zwar nicht der richtige Zeitpunkt, doch trotzdem nahm ich mir fest vor, später auf Annie zurückzukommen. Meine neuen Lebensumstände konnten mich immerhin nicht auf ewig vom Leben abhalten – und Annie schien mir eine sehr willkommene Ablenkung von all den Turbulenzen der letzten Tage zu sein.

Den Blick noch auf das Handy gerichtet, ließ ich es schließlich wieder auf das Bett sinken und versicherte mich stattdessen darüber, dass ich mein gesuchtes T-Shirt noch in den Händen hielt.
Vorerst musste ich mich noch meinem Rudel widmen, und dazu zählte auch der ungeduldige Embry, der auf meiner Veranda verharrte.

„Was laberst du hier draußen eigentlich die ganze Zeit", seufzte ich müde und gleichzeitig genervt, als ich nun endlich zu ihm stieß. Düster sah ich ihn an, bloß um festzustellen, dass Embry ganz und gar nicht genervt oder ungeduldig wirkte.
Stattdessen stand er unruhig, beinahe nervös vor mir, als ich mir das gesuchte Shirt überzog.

Binnen Sekunden spürte ich seine Hand an meinem Arm, wie er versuchte Druck auf mich auszuüben und mich sofort wieder zurück nach drinnen zu schieben wollte.
„Das Shirt kannst du dir sparen, geh am besten direkt wieder rein und –"
„Fass mich nicht an, Alter", fauchte ich ihn sofort an und schlug harsch seine Hand von meinem Körper. Ich fühlte mich selbst schon nicht wohl in meiner Haut, die mehr in sich verbarg, als ich geahnt hatte – da brauchte ich keine anderen Menschen, die auch noch an mir herumzogen.

Ich spürte, dass etwas nicht in Ordnung war und Embry etwas vor mir verbarg. Gerade wollte ich ihn zur Rede stellen, als der leichte Wind, der durch die Siedlung pfiff, einen ganz eigenen Geruch zu mir trug.
„Und was riecht hier...", murmelte ich noch vor mich hin, während ich versuchte, diesen betörenden, intensiven Duft einzuordnen.

Und plötzlich erstarrte ich zur Salzsäule.
Ich kannte diesen Geruch, ich hatte ihn bloß schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr wahrgenommen – schon gar nicht in dieser Intensität.
Mit großen Augen sah ich Embry an und konnte keinen Mucks von mir geben, so sehr lähmte mich dieser Duft, als nun auch noch das hektische, leise Trommeln eines aufgeregten Herzschlags zu mir drang.

Reflexartig wirbelte ich herum und starrte auf den Ursprung all dieser Sinneseindrücke – Julie Hanson.
„Alter", redete Embry mit gedämpfter Stimme auf mich ein. „Jetzt reiß' dich bitte zusammen, wir brauchen hier keinen Skandal auf offener Straße. Sam wird uns umbringen. Langsam atmen, die Ruhe bewahren und am besten gehen wir wieder nach drinnen."

Ich wusste ganz genau, was Embry befürchtete und um ehrlich zu sein hatte sogar ich selbst erwartet, dass mir Julies Anblick in meiner derzeitigen Verfassung den Rest geben würde, doch das erwartete Beben blieb aus.
Keine Hitzewelle überrollte meinen Körper, keine krampfenden Gliedmaßen – ganz im Gegenteil.
Ein angenehmes, nahezu euphorisches Gefühl ergriff Besitz von mir, ganz anders als erwartet.

Ich konnte nicht sagen, dass ich Julie verabscheute oder ähnliches. Sie hatte schlichtweg über Jahre hinweg nie meine Regeln verstanden und war so blind vor Liebe für mich gewesen, dass ich meine Grenzen ihr gegenüber ausdehnen konnte, so sehr ich wollte.
Trotzdem waren wir nie zusammen, wir hatten niemals eine Beziehung geführt und demnach hatte ich auch nie etwas Falsches getan.
Am Ende, als Julie dann nach England verschwunden war, war ich bloß noch froh, dass das Drama, das sie in meinem Bekanntenkreis ständig verursacht hatte, vorbei war. Ich war die ständigen Diskussionen, die Vorwürfe und die schleichende Meinungsbildung der anderen, leid.
Ihr Verschwinden war ein Segen und demnach hatte ich ihr Wiederauftauchen hier in La Push für den reinsten Fluch gehalten.

Lahote || Twilight / WerwolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt